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Brasiliens katholische Kirche kehrt zur Inquisition zurück

Der Feldzug der Konservativen gegen die Befreiungstheologie wird sogar mit Hilfe der Militärpolizei geführt/ Die „Kirche der Armen“ wird ausgehebelt  ■ Von Uwe Pollmann

Engagierte Kirchenleute in der nordostbrasilianischen Millionenstadt Recife sehen schweren Zeiten entgegen. Denn Mitte Oktober ist hier die katholische Kirche zur Inquisition zurückgekehrt. Mit vierzig Militärpolizisten stürmte der Generalvikar des hiesigen Erzbischofs, Dom José Cardoso, die Kirchenräume in einer Armensiedlung am Rande der nordostbrasilianischen Millionenstadt. Der Chef der Erzdiözese Recife und Olinda hatte die Ordnungskräfte beauftragt, die einfache Kirche auf dem „Morro da Conceicao“, dem Hügel der Empfängnis, mangels Schlüssel aufzubrechen und einzunehmen.

Seit zehn Monaten nämlich kursierten diese Schlüssel in den Händen von Gemeindemitgliedern des 40.000-Einwohner-Viertels. Ende 1989 hatte der konservative Erzbischof den Pfarrer des „Morro“, den bekannten Befreiungstheologen Reginaldo Veloso, all seiner Sakramente enthoben und einen polnischen Nachfolger eingesetzt. Veloso, der Mitglied mehrerer Beiräte der Brasilianischen Bischofskonferenz (CNBB) ist, hatte die Nachricht über das Fernsehen erfahren. Das aber ließen sich die Gläubigen nicht gefallen, zelebrierten seither die Messen teils eigenständig oder mit Veloso und gaben trotz mehrfacher Aufforderungen die Schlüssel nicht her.

Angefangen hatten die Probleme des Befreiungstheologen 1985, als der damalige Erzbischof Dom Helder Camara, der sein Erzbistum in zwanzig Jahren zu einer „Kirche der Armen“ gemacht hatte, in den Ruhestand ging.

Ein Gefolgsmann Roms als Nachfolger

Ohne diese Kirche wäre der demokratische Umschwung Brasiliens kaum denkbar gewesen. Kaum ein Pfarrer oder Laie, der sich nicht in die Politik einmischte. Recife, das war der Dorn im fetten Fleische des Vatikans. Und mit Genugtuung verordnete Rom der Diözese einen Nachfolger, der weder praktische Seelsorge noch den armen Nordosten Brasiliens kannte: Der strenge Kirchenrechtler José Cardoso Sobrinho hatte dreißig Jahre in der Weltkirchenzentrale gearbeitet.

Cardoso begann sogleich, unterwürfige Pfarrer einzusetzen. Wer an politischen Veranstaltungen der „Partei der Arbeiter“ (PT) teilnahm oder politische Aufklärungsarbeit in den Slums leistete, wurde vermerkt. „Mir wurde zum Beispiel verboten, weiterhin Theologiestudenten zu unterrichten“, erinnert sich Veloso und fügt gewitzt hinzu: „Also lud ich sie nach Hause ein.“ Als wäre das selbstverständlich und ohnehin nur für eine Übergangszeit. Denn trotz seiner Entbindung von vielen Aufgaben war der Autor mehrerer pädagogischer Bücher sich immer sicher über den Weg der Befreiungstheologie: „Ich habe keine Angst, daß das alles aufhört, und bin sicher, daß es weitergeht und sogar noch wachsen wird.“

Eine Zuversicht, die viele in der „Kirche der Armen“ Recife begraben mußten. Denn reihenweise wurden Kirchenleute entlassen. Selbst Demonstrationen konnten den konservativen Patriarchen nicht umstimmen. Im vergangenen Jahr rief er sogar zweimal die Militärs zur Hilfe. Beide Male hatten Landarbeiter, Frauen und Kinder im erzbischöflichen Palais gegen die Ablösung von Geistlichen in ihren Gemeinden protestiert. Aber auch ganze Einrichtungen entließ Cardoso aus der Kirche. Die Kommission „Pastorale des Landes“ traf es auf dem Höhepunkt von Landkonflikten 1988. Per Gericht hatte sie erreicht, daß brachliegende Ländereien von Großgrundbesitzern enteignet werden sollten. Als Landlose sich ansiedeln wollten, wurden sie von Bewaffneten, den „pistoleiros“, vertrieben. In dieser Situation verloren die Pastoralmitarbeiter den Schutz der Kirche.

Und der ist in Brasilien angesichts der erstarkenden Todesschwadronen viel wert. Ohne diesen Schutz hätte auch der Chef der „Kommission Recht und Frieden“ in Recife im Frühjahr 1988 kaum überlebt, als Unbekannte ihn entführten und grausam folterten. Doch den Statthalter Roms hinderte das nicht, auch aus dieser Kommission, die für die Rechte der Slumbewohner streitet, alle engagierten Mitarbeiter zu entlassen.

Höhepunkt des Feldzuges war allerdings Ende 1989 die Schließung der Theologischen Hochschule Recife (ITER), weltweit bekannt für ihre Rolle bei der Verbreitung der Befreiungstheologie. Die Priester ließen das nicht unbeantwortet: Nur achtzig von zweihundert kamen dieses Jahr zur traditionellen Ostermesse. Der Kirchenkampf ist in Recife in vollen Zügen. Aber das ist nur ein Beispiel für den Konflikt, den die Konservativen der katholischen Kirche seit Jahren mit der „Theologie der Befreiung“ suchen. Regelmäßig reist der Chef der Glaubenskongregation des Vatikan, Kardinal Joseph Ratzinger, nach Brasilien und sammelt die konservativen Bischöfe um sich. So auch Ende Juli. Ratzinger, so dessen Kritiker, wolle „den Zentralismus wieder verstärken, was bedeutet, den Diözesen graduell die Autonomie zu nehmen“. Damit will Rom auch die Macht über die 150.000 Basisgemeinden wiedergewinnen. Protagonisten dieser „Kirche der Armen“ werden in die Schranken gewiesen: So wurde dem Befreiungstheologen Leonardo Boff 1987 für ein Jahr Redeverbot erteilt. Dem beliebten Kardinal Dom Evaristo Arns teilte Rom 1989 seine Diözese Sao Paulo in vier Teile. Geblieben sind ihm die reichen Gebiete. Die drei neuen Bistümer, die in den armen Regionen der 14-Millionen- Stadt liegen, wurden konservativen Bischöfen unterstellt. Die Tageszeitung 'Folha de Sao Paulo‘ urteilte, daß von 37 Erzbistümern die Hälfte wieder dem konservativen Spektrum angehört. Vor Jahren noch hatte man von einer dreigeteilten Macht zwischen Fortschrittlichen, Konservativen und der neutralen Mitte gesprochen.

So wird wohl auch Pfarrer Reginaldo Veloso noch einige Zeit warten müssen, ehe er wieder in den Kirchendienst kommt. Kein gutes Zeichen sind da die patrouillierenden Militärs vor seiner einfachen Kirche auf dem „Morro“, die für „Ruhe und Ordnung“ sorgen sollen. Hoffnung jedoch hat er, der nichts gegen eine starke Kirche hat: „Eigentlich ist die Hierarchie der Kirche willkommen auf dem Weg des Volkes. Wir wollen ja unsere Bischöfe als unsere Verbündeten. Nur, wenn sie diesen Weg nicht gehen wollen, dann bleiben sie eben allein. Wir werden dann weitergehen.“

Opposition ohne Kirche zu schwach

Eine Gefahr, die auch die konservativen Bischöfe im Nordosten sehen, und hohe Kirchenvertreter zweifeln, ob Dom Cardoso noch lange im Amt bleibt. Als Chef einer regionalen Bischofskonferenz wackele sein Stuhl schon jetzt, meint der Theologe Humberto Plummen, Präsident einer Laienkonferenz im Nordosten, und wahrscheinlich werde er im nächsten Jahr nicht wiedergewählt. Seine Amtsführung sei den Bischöfen peinlich.

Wie tief aber der Haß der Gläubigen gegenüber der Erzdiözese ist, bewiesen beim Sturm auf die Kirche des „Morro“ auch die Steinwürfe auf das Auto des Erzbischofs. Gerade im Nordosten Brasiliens sind die Armen besonders auf die Kirche angewiesen. Überhaupt ist die Oppositon in dem 150-Millionen-Einwohner- Land, in dem die Hälfte der Menschen fehl- oder unterernährt ist, ohne die Kirche zu schwach. Zwar hat ihr der fortschrittliche Klerus in der Diktatur auf die Beine geholfen, doch allein gegen die übermächtigen und hypermodernen konservativen Medienzaren des Landes hat die Opposition keine Chance.

Schon bilden sich außerhalb der Kirche neue Organisationen. „Wir arbeiten in unseren Wohnungen weiter“, berichtet Lina Souza dos Santos, die zuvor in der „Kommission Recht und Frieden“ in Recife wirkte. Mangels Geld seien die Rechtsanwälte jetzt sogar „auf die Unterstützung der armen Gemeinden und der Kampf gegen die soziale Misere auf die Hilfe von außen angewiesen“.

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