piwik no script img

Alles fängt an, normal zu sein

■ »Polen Zeit Kunst« — Malerei aus Warschau und Krakau im Palais Unter den Linden

Bis 1989 wurde das ehemalige Prinzenpalais von der DDR-Regierung als Gästehaus genutzt. Mit der Ausstellung »Polnische Malerei« kehrt die Kunst in das Haus Unter den Linden zurück, in dem bis zur »Säuberung« durch die Nazis Werke des deutschen Expressionismus aus der Sammlung der Nationalgalerie untergebracht waren. Ein Ausstellungsbericht vonPiotr Olszowka.

Das deklarierte Ziel der Konrad-Adenauer-Stiftung war es, die relativ jungen Maler, die aber eine wichtige bis herausragende Rolle in der heutigen polnischen Kunst spielen, auszuwählen und mit bedeutenden Bildern dem deutschen Publikum vorzustellen.

Einige Kriterien für die getroffene Auswahl sind klar: die Begrenzung auf Staffelmalerei, auf 60 Arbeiten von insgesamt acht KünstlerInnen, eine Fokussierung auf Maler, geboren um 1955. Unklar und unverständlich dagegen, warum sieben Malern nur eine (Alibi-)Malerin gegenübersteht, sechs Warschauern zwei Krakauer, warum nur ein Zehntel der Bilder sich mit der Darstellung der menschlichen Gestalt auseinandersetzt. Das entspricht keineswegs weder den quantitativen noch den qualitativen Gegebenheiten der heutigen polnischen Kunst. Zahlreiche gute MalerInnen, gerade in der Generation der etwa 35jährigen, künstlerisch sehr wichtige und publikumswirksame Malerei aus Wroclaw und Poznan, die Dominanz des »radikalen Realismus« sind in dieser Ausstellung verschwiegen. Und trotzdem ist das eine gute Schau, von einer ungeheuren Intensität, die meist mit unspektakulären, ehrlichen Mitteln erreicht wird. Was mich in diesem Bildereinsatz am meisten bewegt hat: mindestens drei Künstler, völlig voneinander unabhängig und offensichtlich aus verschiedenen Gründen, benutzen das Paradigma des Übermalens, Kaschierens der Bildfläche. Mal haben wir die Möglichkeit, die Bedeutung des Bedeckten zu entziffern, zu erraten, mal ist die bedeckte Bildfläche endgültig unlesbar gemacht. Welche Überlegungen hinter dieser bekannten Maltechnik jeweils auch stehen mögen, im Kontext der heutigen polnischen Kunst muß sie mit der »Ultralasur« der polnischen Straßen nach dem 13.Dezember 1981 in Verbindung gebracht werden. Dieser Begriff steht für ein damals sehr verbreitetes Gesellschaftsspiel zwischen der Nation und der »inneren Besatzungsmacht«. Auf den Mauern, Zäunen und Gebäuden fand ein Bilderstreit statt: der der Übermalung. Nachts gemalte Losungen und Piktogramme der — damals noch integren und mit der Opposition, ja sogar mit der Nation schlechthin gleichgesetzten — Solidarność wurden am Tage im Auftrag der Polizei bemalt. Es waren ganz neue semantische Ganzheiten, die daraus entstanden. Das symbolhafte Grau der Polizeifarbe mischte sich mit verschiedensten Tönen der Protestschriften, deckte sie und brachte ihnen gleichzeitig einen Metasinn: ein Zeugnis von semantischer Durchsichtigkeit der Gewalt. Auf diese Weise ist die Totalisierung der Verhältnisse visualisiert und bloßgestellt, weil alle regimefeindlichen Losungen pauschal negiert worden sind. Insbesondere die damaligen Ingerenzen der orangefarbenen Alternative, einer pazifistisch-anarchistischen Gruppierung, die später an der Schwelle der Kunst und Politik vor allem in Wroclaw mit Straßenhappenings eine breite Unterstützung gefunden und zur Herausbildung der posttotalitären Gesellschaft auch damit beigetragen hat, daß sie für einen Pluralismus der Opposition sorgte, waren hier wichtig. Auf den mehrmals bemalten Flächen erschienen bunte, infantile Zeichnungen der bemützten Zwerge, die keine Aussagen in dem eindimensional polarisierten Kampf der Übermalungen machten. Die damals eröffnete Perspektive ist für die polnische Kunst nach wie vor von Bedeutung: eine Entlastung vom direkten Engagement der Kunst, die seit fast zwei Jahrhunderten in Polen zur Parteinahme in der politischen Auseinandersetzung beinahe verpflichtet war, auch dann, wenn sie programmatisch unpolitisch blieb.

Alles fängt an, normal zu sein, betitelt seinen Beitrag im Katalog Pawel Sosnowski. Als Begründung dieser Meinung hebt er die politische Normalisierung in Polen hervor. Die Resultate der Präsidentschaftswahlen und der Vormarsch der »schwarzen Sotnja« (Schwangerschaftsgesetz, Klerikalisierung des öffentlichen Lebens, Nationalismuserscheinungen) lassen daran zweifeln. Inwieweit es sich bei den Übermalungen bei Wlodzimierz Pawlak, Waldemar Umiastowski und Zbigniew Salaj um einen Ausdruck der (unterbewußten) Verdrängungssucht der polnischen Eliten handelt, sei dahingestellt. Sicher ist, daß Bilder wie Fast nichts oder Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir? von Wlodzimierz Pawlak, wie auch auf ganz andere Weise die neuexpressionistischen Porträts von Jaroslaw Modzelewski eine Bereitschaft zur weiteren kritischen Beobachtung der gesellschaftspolitischen und -psychologischen Entwicklung zeigen. Die geistige Fähigkeit, diese Entwicklungen zu überstehen, zeigt am stärksten die hervorragende Malerei von Leon Tarasewicz.

Die von der Konrad-Adenauer- Stiftung organisierte Ausstellung Polen Zeit Kunst im Palais Unter den Linden (Prinzenpalais) ist noch bis zum 14. Dezember zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen