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Heckler&Koch wird zum Opfer der Abrüstung

Der staatliche französische Rüstungskonzern GiAT übernimmt den Familienbetrieb kurz vor dem Bankrott/ Belegschaft fürchtet Personalabbau  ■ Von Erwin Single

Vierzig Jahre nach ihrer Gründung ist die schwäbische Waffenschmiede Heckler & Koch am Ende: Künftig wird der staatliche französische Rüstungskonzern GiAT (Groupement Industriel des Armements Terrestres) die Leitung des mit über 2.000 Beschäftigten größten Arbeitgebers in der Region um das Schwarzwaldstädtchen Oberndorf übernehmen. Der Familienbetrieb ist damit eines der ersten Rüstungsunternehmen, das zum Opfer der Abrüstung wird. Für die mittelständischen Gewehrbauer ist die Flucht unter die Fittiche der GiAT-Gruppe „eine konsequente Entscheidung“: Der Rüstungskonzern soll, so die alte Geschäftsleitung, die Erfolge des Traditionsunternehmens für die kommenden Jahrzehnte sichern; die Neuordnung der Märkte verlange strategische Entscheidungen mit hohem Kapitaleinsatz, dem das Unternehmen selbst nicht gewachsen gewesen sei. Einzelheiten über den Verkaufspreis oder darüber, ob und wie die Oberndorfer Waffenfabrik weitergeführt wird, wurden bisher nicht bekanntgegeben.

Seit Monaten hatte die H&K-Geschäftsleitung über einen Gesamtverkauf ihrer Firmengruppe verhandelt — mit GiAT, der British-Aerospace-Tochter Royal Ordanance und zunächst auch mit dem Nürnberger Waffenkonzern Diehl, dem bereits die Oberndorfer Waffenfirma Mauser gehört. Um dem Bankrott zu entgehen, hatten sich die Inhaberfamilien zum Verkauf der nach Schätzungen mit etwa 100 Millonen D-Mark in der Kreide stehenden Rüstungsbude entschlossen. Während die Eigentümer sich damit noch schnell eine Rente verschafften, schauen die Banken derweil in die Röhre: Um den Einstieg von GiAT zu ermöglichen, mußten sie auf weitgehende Forderungen verzichten.

Der einst florierenden Waffenexporteure waren ins Schleudern geraten, weil die Auftragserteilung für das „Wundergewehr“ G11, dessen Entwicklungskosten vom Verteidigungsministerium mit 84 Millionen D-Mark subventioniert worden waren, dann doch auf Eis gelegt wurde. Die schwäbischen Waffenbauer hatten ganz auf ihre angeblich so treffsichere Superwaffe gesetzt und Einnahmen von 2,7 Milliarden Mark einkalkuliert — für Bestellungen der Bundeswehr, der Nato und für weltweite Lizenzprodukte. Bereits im Frühjahr jedoch stand das G11 auf einer Liste der Hardthöhe mit eventuell zur Disposition stehenden Rüstungsprojekten. Wann und ob überhaupt eine Entscheidung für die Ablösung des Nato-Sturmgewehrs G3 durch das G11 bei der Bundeswehr fällt, ist völlig offen.

Nachdem der Startschuß ausblieb, suchte die H&K-Geschäftsleitung um Hilfe in Bonn und bei der Stuttgarter Landesregierung nach — ohne Erfolg. Um vom Rüstungsbereich wegzukommen, hatte sich H&K zwar über Tochterfirmen verstärkt im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektronik engagiert und in diesen Bereichen etwa die Hälfte des Umsatzes von 300 Millionen D-Mark erwirtschaftet; doch reichte das nicht aus, die Firma liquide zu erhalten.

Am französischen Rettungsanker hängen nun die Hoffnungen der Belegschaft. Seit Wochen kursiert in Oberndorf jedoch der Witz, daß ein Optimist jener H&K-Arbeitnehmer sei, der am Montag noch Essensmarken für die ganze Woche kaufe. Auf die heute stattfindende Betriebsversammlung waren die Beschäftigten wochenlang vertröstet worden. Zwar ist bislang nur von „Strukturveränderungen“ durch GiAT die Rede, doch nicht wenige befürchten nun einen Kahlschlag — zumal vermutet wird, die „French Connection“ wolle mit Hilfe des Know-hows und Patents für die Wunderwaffe G11 lediglich ihre Spitzenstellung im Kleinwaffenbereich ausbauen. GiAT, für tiefe Personalschnitte bekannt, hatte unmittelbar nach der Übernahme des Rüstungsbereichs ihrer belgischen Konkurrentin Fabrique Nationale (FN) Herstal eine Halbierung des dortigen Personalbestands angekündigt.

Der französische Rüstungskonzern, der als Staatsverwaltung ohne Finanzautonomie bis zur Umstrukturierung zur Aktiengesellschaft im Juli hohe Jahresverluste eingefahren hat und mit staatlichen Kapitalspritzen gestützt werden mußte, ist mit 14.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über zwei Milliarden D- Mark Europas größter Heereswaffenhersteller. Zu ihren Produkten, die zu 20 Prozent exportiert werden, gehören neben Schußwaffen die AMX-Kampfpanzer, Feld- und Panzerhaubitzen sowie Kleinraketen und Munition. Durch den Einstieg bei H&K und FN rückt GiAT zum Weltmarktführer bei kleinkalibrigen Schußwaffen auf. FN nimmt wie H&K in der Entwicklung sogenannter leichter Waffen eine Spitzenstellung ein; GiAT erwirbt mit der belgischen Firma auch die bekannten Marken Browning (Pistolen) und Winchester (Gewehre). Falls die im Auftrag der Bundeswehr entwickelte „präziseste Tötungsmaschine der Welt“ (so die 'Times‘ über das G11) hinzukommen sollte, macht GiAT mit H&K einen lukrativen Fang. Im Verteidigungsministerium jedenfalls sieht man durch die Veränderung der Besitzverhältnisse bei H&K keinen Grund, etwas an der Vergabepraxis zu ändern.

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