: Bauern werden Naturschützer — irgendwann
Teilnehmer des Gatt-begleitenden Kongresses „Gattastrophe“ fordern die Aufnahme des Umweltschutzes in die Verhandlungen ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Wochenlang hatten Putztrupps an Brüssels Symbol des technisch-industriellen Größenwahns herumgeschrubbt. Unter Lebensgefahr waren Saubermänner an der glatten Außenhaut des 200milliardenfach vergrößerten Modells eines Atomkerns herumgeturnt, um es vom Rost der letzten vierzig Jahre zu befreien. Schließlich sollten die neun durch begehbare Röhren zusammengehaltenen Riesenkugeln vor dem Heizel- Konferenzzentrum den Gatt-Fans den rechten Weg weisen.
Um den Zusammenhang zwischen Ausweitung des Welthandels und Zunahme der Umweltzerstörung plastisch zu machen, wurde Dienstag abend das Technoheiligtum zweckentfremdet. Greenpeace- AktivistInnen schalteten die Flutlichtbestrahlung aus und verwandelten mit langen grünen Laserfinger eine der Kugeln in einen Globus, dessen Kontinente die Freihändler mit ihrem Gatt-Stempel in Besitz nehmen. Einige Fernsehteams waren gekommen, so daß die Gatt-Unterhändler sich den Protest wenigstens im Fernsehen betrachten konnten.
Denn anders als viele LobbyistInnen der Industrie haben VertreterInnen der Umwelt-, Konsumenten- und alternativen Bauernverbände keinen Zugang zu den heiligen Hallen. Auch ist es verboten, im Sperrbezirk Plakate „bei sich zu führen“. Eine Gruppe norwegischer Abgeordneter und Gatt-GegnerInnen wurde festgenommen, weil sie auf dem Weg zu einer Pressekonferenz ein Plakat mit der Aufschrift „Kein Gatt-Abkommen ohne Umwelt- und Lebensmittelsicherheit“ mitschleppte. Warum sich die Polizisten über den harmlosen Spruch aufregten? Sie langweilten sich offensichtlich, weil sich die wahren Gatt- Feinde nach anfänglichem Muskelspiel wieder aus dem Staub gemacht hatten: Die 30.000 Bauern (fast keine Bäuerin) aus aller Welt waren nur zum Auftakt der Verhandlungen am Montag durch die Brüsseler Innenstadt gezogen, um den „Großkopfeten zu zeigen, wo's lang geht“.
Ohnmacht gepaart mit Frust war auch bei den Gatt-GegnerInnen mit alternativpolitischem Hintergrund zu spüren. Auf der fünftägigen Marathonveranstaltung mit Namen „Gattastrophe“ fiel es den TeilnehmerInnen oft schwer, durch den Wust von Problemen durchzusteigen. Im Mittelpunkt der Vorträge, Diskussionen und Pressekonferenzen standen die Auswirkungen der Gatt-Verhandlungen auf die Dritte Welt, die Umwelt und die Bauern.
Bereits am zweiten Tag waren einige der TeilnehmerInnen des Diskutierens müde. „Wir müssen handeln“, forderte ein aufgebrachter Bauer aus Holland. Zwar wußte niemand, wie — doch daß etwas getan werden mußte, schien Konsens. Schließlich, so eine Britin, seien „Subventionen Mord an Bauern“. Der Vertreter einer französischen Bauernorganisation assistierte: Trotz der EG-Subventionspolitik seien in den letzten 30 Jahren zwei Drittel aller EG-Bauern pleite gegangen, weshalb nur noch elf Millionen übriggeblieben seien. Einzelne Teilnehmer hofften, daß die EG-Kommission als Ausgleich für den Subventionsausfall durch Gatt andere Zuschüsse einführen wird. Direkte Unterstützung der Bauern mit Renten und eine Bezahlung für die Pflege der Natur könnten EG-weit einer ökologischen Landwirtschaft zum Durchbruch verhelfen.
Exportsubventionen, wie bisher in der EG üblich, wurden von den Teilnehmern der „Gattastrophe“ abgelehnt, nachdem die Ökoorganisation WWF dies zur Bedingung für eine Zusammenarbeit zwischen dem WWF und den Bauernverbänden gemacht hatte. Als Beispiel für praktizierte Zusammenarbeit zwischen Bauern und Umweltgruppen stellte Mika Iba einen japanischen Dachverband vor, in dem sich 1.000 Bauern-, Umwelt-, Konsumenten- und Bauernorganisationen zusammengeschlossen und 2.500 Unterschriften für eine Petition an die Gatt-Unterhändler gesammelt haben. Darin fordern sie, Umweltprobleme in die Verhandlungen aufzunehmen. Die norwegische Handelsministerin Eldrid Nordbo hat diesem Ansinnen bereits zugestimmt: „Umwelt muß Teil von Gatt werden“ — irgendwann in der Zukunft.
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