Flächendeckende Schluckimpfungen?

■ Neue Dopingplaudereien führen die Diskussion an einen Punkt, den niemand überschreiten will Die komplette Aufklärung der deutschen Dopingspezies würde den Sport auf Jahre diskreditieren

Berlin (adn/taz) — Das Leipziger Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) forscht seit Mitte der siebziger Jahre nach leistungsstimulierenden Doping-Pülverchen. In einer Erklärung des Instituts gestehen die Wissenschaftler jetzt: „Unsere Aufgabe war, die Wirkung der Steroide auf die Leistungsentwicklung und ihre Nebenwirkungen zu untersuchen sowie den Nachweis von anabolen Steroiden untersuchungsmethodisch zu lösen.“

Es wurde also nach Dopingmitteln gesucht und deren Nachweis verhindert.

Die 1975 gebildete Forschungsgruppe experimentierte vor allem am DDR-eigenen anabolen Steroid Oral-Turinabol, eine von über dreitausend Dopingsubstanzen. Die Forscher rechtfertigen sich, daß ihre Experimente in ein „sportmedizinisch- trainingswissenschaftliches Gesamtkonzept zur Entwicklung der sportlichen Leistungsfähigkeit des Menschen“ eingebettet gewesen seien. Damit konnten medizinisch- biowissenschaftliche Fragestellungen interdisziplinär untersucht und mit den Ergebnissen Einfluß auf den Trainingsprozeß genommen werden.

Die Dopingfahrpläne waren deshalb den Trainingsplänen angepaßt. Oder, noch besser: umgekehrt.

Untersuchungen an Tieren, Mitarbeitern der Forschungsgruppe und anderen freiwilligen Probanden sowie ausgewählten Leistungssportlern hätten Auskunft darüber gegeben, in welchen Phasen des Hochleistungstrainings der „Einsatz anaboler Steroide überhaupt gerechtfertigt wäre“. „Die ermittelten Obergrenzen und Tagesdosierungen liegen weit unter den Dosen, die im internationalen Leistungssport angewandt werden“, heißt es.

Den Dopingforschern ist demnach geradezu zu danken, daß die DDR- Athleten das Zeug nur in vertretbarem Umfang und allseits kontrolliert gefuttert haben.

Die Arbeiten seien langfristig angelegt gewesen und hätten nicht über erste Experimente hinausgeführt. „Alle Aufgaben der Forschungsgruppe wurden unter strenger Einhaltung der auch in der DDR geltenden ethischen und gesetzlichen Bestimmungen durchgeführt und ausgewertet.“ Die Mitarbeiter seien sich der Verantwortung bewußt, die sie im Leistungssportsystem der DDR getragen haben.

Wobei diese ethische Grenze in der DDR und anderswo niemand festlegen kann und fraglich bleibt, was die Wissenschaftler noch erfunden hätten, wenn sie der Lauf der Zeit nicht überholt hätte.

Ärzte und Wissenschaftler haben nämlich die Arbeiten Ende 1989 aus eigenem Antrieb eingestellt. Sie veröffentlichten Anfang 1990, daß es ein System der Forschung und praktischen Anwendung zur Dopingthematik gab, das unter strikter Geheimhaltung und im Auftrag der Sportführung durchgeführt wurde. Ein Zufall der Terminplanung ist, daß am Tag der FKS-Erklärung gerade der DTSB seine Auflösung bekanntgab und damit auch nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. Präsident Kilian forderte in seiner Abschiedsrede dennoch eine rasche Untersuchung und Klärung möglicher Dopingfälle unter den DDR- Athleten. Diese Aufgabe darf nun aber mit gesamtdeutscher Gründlichkeit der Deutsche Sportbund (DSB) übernehmen.

Bis dann erreicht ist, daß in Deutschland niemand mehr an gründlicher Untersuchung interessiert ist, weil jede weitere Enthüllung den deutschen Sport international in die Schmähecke stellen würde.

Die Funktionäre werden sich dann fragen, warum deutsche Sportler büßen müssen, während weltweit weitergespritzt wird. Der Leichtathletik-Verband hat als erster mit einem Antidopingkatalog reagiert. Dazu gehört, Qualifikationsnormen abzuschaffen, deutsche Rekorde neu zu bestimmen und trainingsbegleitende Kontrollen zu intensivieren. Der Verband will 1991 eine „saubere Nationalmannschaft“ an den Start schicken. Das ist auch notwendig, denn die ersten Sportsponsoren rührten sich schon. Zehnkampf-Olympiasieger Christian Schenk bekam Werbeverträge zurück, die ihm eigentlich wichtige finanzielle Einnahmen sichern sollten.

Wenn das so weitergeht, wo geht das dann hin? bossi