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Ignaz, der Bauer aus dem Bierzelt

Der Bundeslandwirtschaftsminister und seine Gatt-Delegation vergrätzen in Brüssel Journalisten und ausländische Kollegen  ■ Aus Brüssel Andreas Zumach

Bauer Ignaz betritt das Podium. Gelangweilt und mißmutig blickt er in die Runde, läßt alle Anwesenden spüren, daß er es als Zumutung empfindet, überhaupt hier auftreten zu müssen. Minutenlang reinigt er in aller Ausführlichkeit seine Fingernägel. „Wer ist denn dieser Lümmel?“ fragt eine ausländische Kollegin fassungslos.

Ort der Handlung ist keine bayerische Bierhalle, sondern die Pressekonferenz des Agrarministers der zweitgrößten Wirtschafts- und Exportnation im Rahmen der Gatt-Verhandlungsrunde, an der die Fachminister aus 107 Nationen sowie über tausend Journalisten aus aller Welt teilnehmen. Es ist — nach immerhin drei bewegten Konferenztagen mit viel Erklärungsbedarf — die erste Pressekonferenz überhaupt, zu der sich ein Bonner Minister bequemt. Die Handels- oder Agrarminister aus den USA, Kanada, Großbritannien, Australien oder den Niederlanden stehen schon seit Sonntag täglich auf rechtzeitig angekündigten Pressekonferenzen den JournalistInnen aus allen Ländern ausführlich Rede und Antwort. Deutscherseits gab es bis zum Mittwoch abend nur einige hastig zusammengerufene, mehrfach kurzfristig verlegte Minutenbriefings von Staatssekretären oder Abteilungsleitern — zum Teil eine halbe Fahrstunde entfernt vom Gatt-Konferenzzentrum. Während bei den Pressekonferenzen anderer Staaten simultan ins Englische, Französische und Spanische übersetzt wird, geht es auf den Briefings der Bonner Delegation — auf denen nur bundesdeutsche JournalistInnen „erwünscht“ sind — ausschließlich deutsch zu. So auch bei dem Auftritt von Minister Kiechle, dessen Tiraden und Beschimpfungen allerdings ohnehin nur schwer übersetzbar sind. „Ich bin kein Wackelpudding“, bescheidet er einen Fragesteller kurz und knapp, der die Frage gewagt hatte, ob die EG denn im völlig festgefahrenen Streit um den Abbau von Agrarsubventionen wenigstens zu Signalen der Flexibilität bereit sei. Die Verhandlungsposition der BRD und ihrer EG-Partner, so Kiechle, sei „etwas anderes als die Echternacher Springprozession“. Und weiter: „Ich bin nicht bereit, vor Washington auf die Knie zu gehen. Wir wollen schließlich nicht der fünfzigste Staat der USA werden.“

„Amerika-Bashing“ ist an diesem Abend angesagt, um die EG und mit ihr die Deutschen endlich ein Stück aus der Ecke des Hauptschuldigen für ein drohendes Scheitern der Gatt- Verhandlungen zu bringen. So schlägt nicht nur der CSU-Politiker Kiechle, sondern auch Staatssekretär Otto Schlecht (FDP) aus dem Wirtschaftsministerium auf der Pressekonferenz ungewohnt harsche Töne gegenüber Washington an.

Die Deutschen haben sich durch die Art ihres Auftretens viele neue Feinde gemacht in diesen Brüsseler Konferenztagen. Kohls Versprechen gegenüber Bush, nach den Wahlen am 2. Dezember für eine flexiblere Haltung der EG in der Agrarfrage sorgen zu wollen, erwies sich als leeres Versprechen. Daß die bundesdeutsche als einzige unter den 107 Delegationen zumeist ohne Minister in Brüssel auftrat, wurde im Brüsseler Konferenzzentrum allgemein als Mißachtung durch die Wirtschaftsgroßmacht BRD empfunden. Der Hinweis auf die schwierige Übergangsphase bis zur Bestellung des neuen Bonner Kabinetts wurde als Entschuldigung nicht akzeptiert. Schließlich lagen der Wahltermin wie das Datum der Gatt-Verhandlungen seit Monaten fest.

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