: Aids-Alarm in Nicaragua
Bis vor wenigen Jahren galt Nicaragua als Aids-frei/ Die HIV-Infizierten haben sich im Ausland bei Heterosexuellen angesteckt ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Nicaraguas Gesundheitsbehörden schlugen vor wenigen Tagen Aids- Alarm. Sieben neue Fälle akuter Erkrankungen und 13 weitere von HIV- Trägern waren entdeckt worden. In Nicaragua, das bis vor wenigen Jahren als Aids-frei galt und immer noch von allen zentralamerikanischen Ländern die niedrigste Infektionsrate aufweist, geben diese Zahlen Anlaß zur Sorge. Eine besondere Konzentration des gefürchteten Virus wurde nicht im sündigen Managua ausgemacht, sondern ausgerechnet in der gebirgigen Nordregion Las Segovias. Die neuen Fälle wurden nämlich aus 90.000 Blutproben von repatriierten Contras, deren Familienangehörigen und heimgekehrten Flüchtlingen ermittelt. 84 Prozent der Aids- oder HIV-Träger sind männlichen Geschlechts, und fast alle haben sich im Ausland angesteckt — durch heterosexuelle Kontakte. Die meisten Repatriierten kamen aus Honduras, wo sich das Virus über die dort stationierten US-Truppen unter den Prostituierten breitgemacht hat. Während in Honduras von 1986 bis 1989 nicht weniger als 192 Personen an Aids starben, gab es in Nicaragua im gleichen Zeitraum nur vier Aids-Opfer.
Dr. Eduardo Sanchez, der Delegierte des Gesundheitsministeriums in der Region Las Segovias, will einer Ausbreitung der tödlichen Krankheit mit einer breiten Aufklärungskampagne vorbeugen. Dabei stößt er aber nicht nur auf materielle Schranken, sondern auch auf kulturelle und religiöse Hindernisse. „Es ist nicht dasselbe, ob man eine Spritze verabreicht oder Gewohnheiten, Vorurteile und Sexualpraktiken verändern will“, erklärte er.Im Jahre 1987 waren in Nicaragua nur 21 HIV-positive Personen bekannt — allesamt Ausländer. Damals startete das Gesundheitsministerium eine Informationskampagne in den Medien. Diese war nie besonders zugkräftig und versandete völlig, als mit dem Regierungswechsel von den Sandinisten zur konservativen Allianz Violeta Chamorros ein neuer Puritanismus in Nicaragua einkehrte. Gesundheitsminister Ernesto Salmeron ist praktizierender Katholik, und das Unterrichtsministerium ist jetzt in der Hand von Vertrauensleuten des erzkonservativen Kardinals Obando y Bravo. Seither ist Aufklärung aus den Lehrplänen weitgehend gestrichen und selbst eine Sexualkundeserie für Jugendliche im staatlichen Fernsehen wurde abgebrochen. Plakate, die den Gebrauch von Kondomen propagierten, wurden durch Werbung für ein Geldinstitut überklebt. Nachdem die Sandinistische Jugend letzte Woche Informationsmaterial samt Kondomen verteilt hatte, grollte Kardinal Obando von der Kanzel: „Wer diese Kinder aufhetzt, der sollte sich besser, wie der Herr sprach, einen Mühlstein um den Hals hängen.“
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