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„Internationalismus war eine Kinderkrankheit“

■ Der ehemalige 68er und heutige serbische Nationalist Vuk Drasković hat gute Chancen auf den Wahlsieg PORTRÄT

Auf dem Höhepunkt der 68er Studentenbewegung waren sie noch Hand in Hand auf die Straße gegangen, Vuk Drasković, Skelzen Maliqui und der „rote Vlado“ Mijanovic. Mijanovic ist inzwischen nach Kanada ausgewandert — „Ich fische lieber, als daß ich Nationalistenführer werde.“ Maliqui eckt noch immer an. Er gründete eine sozialdemokratische Partei, die für alle Völker Jugoslawiens offen sein soll, nicht für seine albanischen Landsleute allein. Nur Drasković ließ sich von der allgemeinen nationalen Euphorie anstecken, die seit Monaten das politische Leben des Landes an den Rand des Bürgerkrieges führt. Schulterlange Haare und einen Vollbart trägt er noch immer. „Auch unsere Vorfahren waren Hippies“, pflegt er zu scherzen. Drasković glaubt erkannt zu haben, daß die Serben eines der großen Kulturvölker des Balkans sind und die älteste Demokratietradition haben. Noch bevor Slobodan Milosević, der Wendekommunist und amtierende Präsident der Republik Serbien, auf den nationalen Zug aufsprang, hatte Drasković Anfang der 80er Jahre erklärt, sein „linker Internationalismus“ sei eine „Kinderkrankheit“ gewesen, es gehe ihm um eine „Neubewertung des gesunden Nationalgefühls“.

Seit dem Frühjahr wisse er, so Drasković, was politisch vorrangig zu tun sei: „Serbien braucht als erstes seine eigene Staatlichkeit.“ Dieser Slogan machte ihn ungemein populär, und seine „Serbische Erneuerungsbewegung“ hat große Chancen, aus den Wahlen als Sieger hervorzugehen. Draskovićs politische Rundumschläge sind es, die ihn zu Serbiens starkem Mann abgestempelt haben. Er übt heftige Kritik an Milosevićs Kosovo-Politik, meint, der Präsident hätte es dort erst gar nicht zu Demonstrationen kommen lassen dürfen. Er ist erklärter Gegner des Regierungschefs Ante Marković, dessen Wirtschaftsreformen die einfachen Leute immer weiter in die Misere getrieben hätten.

Draskovićs Lösungen sind einfach: Marković müsse zurücktreten, die Minderheiten in Serbien müßten „befreit“ werden, und man müsse ihnen die Gelegenheit geben, außerhalb Serbiens ihre eigenen „Nationalstaaten“ zu gründen. Wie, das läßt er offen. Sollen etwa die 1,7 Millionen Albaner nach Albanien auswandern, die Ungarn der Vojvodina in die ungarische Pußta, die Kroaten nach Zagreb? „Wenn wir erst einmal ein demokratisch gewähltes Parlament haben, können wir in Ruhe über diese Frage sprechen.“

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