: Der Tod und der Radikale
■ Die letzten Quartette: “Tokyo String Quartet“ mit Beethoven in der “Glocke“
Beethovens späte Streichquartette sind intime musikalische Tagebücher, die vor Altersradikalismen geradezu strotzen. Hier hat ein Komponist, den Tod vor Augen, noch einmal alles niedergeschrieben, was ihn bewegte.
Das Konzert des „Tokyo String Quartet“ am vergangenen Donnerstag in der Glocke bot gleich zwei dieser Riesenwerke hintereinander: die Quartette Es-Dur op.127 und cis-moll op.131. Ein Programm, das mindestens so anstrengend ist wie zwei Bruckner- Sinfonien auf einmal.
Überdies ist es allemal ein Risiko für die Musiker, mit dem op.127 zu beginnen — hatte doch Beethoven seinerzeit nach mißlungener Uraufführung (Wien, 1826) die Musiker des Wiederholungskonzertes schriftlich verpflichtet, ihr Letztes zu geben, um dem Werk genügen zu können.
Leider wirkte das Quartett dann über weite Strecken ein wenig wie ein „Einspielstück“. Bei allem Respekt vor einer insgesamt doch großen Leistung: Schon die Eingangsakkorde fesselten mich nicht, die Farbgebung war recht eintönig, der Gesamtklang oft eher scharf.
So erfüllte das „Tokyo String Quartet“ Beethovens Forderung zunächst noch nicht. Auch die trotzige Dämonie des Scherzo kam nicht genug zum Ausdruck. Das Adagio geriet allerdings herrlich und ließ schon ahnen, was dann im zweiten Teil geboten wurde.
Die Musiker aus New York spielten sich für das Quartett op.131, das Beethoven selbst für sein bestes hielt, regelrecht die Seele aus dem Leib. Sie erreichten eine große Klangfarbenvielfalt bei einem abgedunkelten, im Vergleich zu op.127 merklich runderen Gesamtklang.
Nur schade, daß das Ensemble nicht in der altdeutschen Quartettaufstellung musizierte (Violine I links, II rechts). Die ausgedehnten Zwiegespräche der Violinen können nicht hörbar plastisch werden, wenn die beiden hintereinander sitzen.
Dennoch traf die reife Interpretation im Sinne bester Spieltradition stets den Nerv des Stückes und ließ kaum Wünsche offen. Das Publikum war hochgradig begeistert. Ich aber schlich mich aus dem Schlußapplaus leise davon — nach einer solchen musikalischen „Tagebuchlektüre“ mochte ich keine Zugabe mehr hören. Gunnar Cohrs
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