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Der Trip für die ganze Familie

■ Holger Czukay zeigte und kommentierte Videos im Quartier

Video ist out. Es glänzt höchstens noch durch angenehme Schlaffheit, die es in Marl auf den Festtagen oder in der Dauernutzung am Kabelfernseher ausstrahlt. Beim Video Special, das Holger Czukay am Donnerstag im Quartier aufführte, stand der Underground der Rockmusik in langen Warteschlangen. Es waren hauptsächlich Professionelle da, Menschen, die täglich die aktuellen Kurse für Zappa- und Hendrix-Raritäten an der Plattenbörse studieren, Gewinn- und Verlustpunkte auf dem Bootlegmarkt verfolgen und an diesem Abend mit einem besonderen musikalischen Leckerbissen rechneten.

Holger Czukay, so munkelte man, werde geniales Filmmaterial vergangener »Can«-Tage zur Schau stellen. »Can«, faselte ein Alteingesessener vom Stamm der Kreuzberger Krempelmärktler, »bringe im Original mindestens 50 DM pro Platte«. Solche Erwartungen ließen bald viele Hosenböden nervös wartend auf den Stuhlreihen scheuern, ehe die ersten Bilder über die Videoleinwand flimmerten. Hurra, es war tatsächlich Holger Czukay. Mit grauen Haaren, Sträflingshemd und schräger Punkverglasung auf der Nase. Das ging drei chaotische, aber bunte Videominuten gut, dann erschien seine Eminenz selbst, verneigte sich im Scheinwerferstrahl und fing sofort zu erzählen an. Und hörte nicht mehr auf, von diesem, jenem und überhaupt allem aus dem Nähkästchen zu plaudern. Daß China und Bayern sehr wesensverwandt wären, besonders im Umgang mit Fäkalien, und wie er daraufhin beider Nationalhymnen zu bearbeiten gedachte. Man sah dann nur die chinesische Fassung, zu der Czukay mit scharfem Auge Filmausschnitte einer Peking-Oper-Aufführung zu einem rhythmischen Verbund gecuttet hatte. Dann fuhr er fort, mit rheinischem Akzent von Köln zu quatschen. Von seinem Freund Ghandi, der eigentlich John Wayne heißt, aber John Wayne sei nur eine Kopie, somit Lüge und und und. Hinten ertönte ein erster Ruf nach »Can«, doch Holger störte das kaum in seinem Redefluß. Weiter im Text: Wie es ist, wenn alte Kameraden, nämlich »Can«, nach Jahren wieder im Studio gemeinsam musizieren und so spielen, als sei nie Zeit verstrichen: britzelnd, fiepsend und schwer bekifft. Fröhlich. Natürlich mußten nun Bilder aus der guten alten Zeit mit Langhaarmatte und Nicki-Hosenanzug folgen. Damit hatte er sie dann alle. Im weiteren gab es nette, lustige Videofilme, aus merkwürdigen Sketchen zu einer skurrilen Gagschau montiert. Czukay in Blödelhöchstform verdreht die Augen, grinst aus nächster Nähe wie Otto in die Kamera und schwankt als Entertainer immer wieder zwischen Karl Dall und österreichischem Rockkabarett hin und her, zu gleichen Teilen verrückt und erwachsen, unentschieden und äußerst anstrengend.

Wären dazu nicht die grandiosen Klänge, die die Bilder begleiten. Vielleicht ist es gut und richtig, daß »Can« und Czukay sich über die Jahrzehnte nicht verändert haben. Verschroben scheppert das Schlagzeug, pocht der Baß, dröhnen Orgeln und flirren Gitarren zu fast hypnotisch- monotonem Gesang. »Can« wirkt immer noch wie ein Halluzinogen, daran kann die alberne Bilderflut auch nicht viel ändern, sie läßt die Musik meistens unberührt. Czukay nennt deren Zusammenspiel einen Zweikomponentenkleber. Damit ist er im Recht, denn Bild und Ton sind miteinander verklebt wie mit chemischer Gewalt, unter Ausschluß von Sinn. Den aber wünscht das Publikum, will wenigstens noch einen kurzen »Can«-Clip. Also zeigt Czukay einige Stummfilmsekunden aus dem Privatarchiv zur Beruhigung.

Mit dem letzten Video stellt sich sogar noch die bisher vermißte Einheit von Klang und Bild in der Vorstellung und Projektion her. Sphärenklänge, Gebrodel und Gegluckse vom Band, dazu Aufnahmen vom Mond und aus dem All. Von allen Seiten staunt es den Planeten entgegen. Diese Einheit des Gesehenen und Gehörten haben alle Anwesenden schon erlebt. Ein Trip führt eben in den Welt- und Innenraum. Zu Hause könnte man dann später die scharfen Miezen und Lederboys auf »Hard'n'Heavy« bestaunen. Diese Rocksendung auf Tele 5 macht zumindest die Sinne richtig mobil. Bei dem, was dort in Spitzen-BHs, Lederslips und engen Jeans als Hochgeschwindigkeitsgeschichte verheizt wird, bleibt kein Funken Innerlichkeit bestehen. Da treten die Augen aus dem Kopf, bis zum Einschlafen. Czukay war hingegen der Trip für die ganze Familie. Harald Fricke

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