: Mompers Angst vor dem Absturz
■ Machtverlust bringt Entzugserscheinungen mit sich, sagt der Kölner Managementlehrer Dr. Klaus-Stephan Otto/ Der Psychologe fordert deshalb ein »Methadonprogramm« für Politiker
taz: Wer ganz oben steht, der kann auch tief fallen. So tief wie Walter Momper fiel noch nie ein Regierender Bürgermeister von Berlin. Was bedeutet so ein Macht- und Prestigeverlust für die Betroffenen?
Klaus-Stephan Otto: Machtverlust ist durchaus mit Entzugserscheinungen von Drogenabhängigen vergleichbar. Politik und Sucht hat vieles gemeinsam. Von daher können auch ähnliche Symptome beim Machtverlust auftreten. Dann gilt, was für andere Bereiche des Lebens auch gilt: Eine solche tiefe Krise ist auch eine Chance, zu reifen, sich zu verändern. Die zweite Möglichkeit ist, daß es ein Sturz ins Bodenlose wird, wie zum Beispiel beim Ex-Ministerpräsidenten von Schleswig- Holstein, Uwe Barschel.
Welche Politiker sind denn aus Schaden klug geworden, haben die Krise gemeistert?
Heinrich Albertz zum Beispiel. Der hat nach seinem Rücktritt als Regierender Bürgermeister eine Menge an Weisheit gewonnen. Seine Erfahrungen, als der Student Benno Ohnesorg am Rande einer Demonstration 1968 von einem Polizisten erschossen wurde, hat er in den siebziger Jahren in die Terrorismus-Auseinandersetzung eingebracht. Da hat er eine sehr weise und wichtige Rolle gespielt. Andere Beispiele sind Kurt Biedenkopf und Willy Brandt. Beide fielen tief und nahmen danach wieder wichtige Funktionen ein. Alle drei haben aus ihren Niederlagen gelernt und sind an ihnen charakterlich und persönlich gewachsen. Damit ich mir in der Krise die Chance zum Reifungsprozeß nicht verbaue, muß ich aber auf ein paar Dinge unbedingt achten: Ich muß genau prüfen, wie groß meine eigene Verantwortung an meiner Situation ist. Das heißt für Politiker: keine Wählerbeschimpfung, die Schuld nicht beim politischen Gegner suchen. In Berlin scheint dieser Prozeß bei der AL und der SPD noch nicht sonderlich weit fortgeschritten zu sein. So kommt man aus der Krise nicht raus.
Sie vergleichen Macht und Politik mit Sucht. Gibt es ein Methadonprogramm für Politiker?
Viele Parteien, Organisationen fangen stürzende Führungskräfte mit neuen Jobs wieder auf, beispielsweise in Rundfunk- oder Aufsichtsräten oder in wichtigen Vereinen. Das sind quasi Ersatzdrogen, die den Absturz lindern. Wenn Politiker Macht verlieren, erleben sie aber noch etwas anderes, was ihnen bitter zusetzt: Viele Bekannte wenden sich von ihnen ab, weil sie den Kontakt zu den Mächtigen nur hielten, um an der Macht zu partizipieren und davon zu profitieren. Ein Politiker ist einer Maschine ähnlich, die auf Hochtouren läuft. Diese Maschine muß er langsam runterfahren, sonst können Friktionen auftreten.
Kann man den Absturz eigentlich trainieren, sich darauf vorbereiten?
Ich denke schon. Ich habe mal den Satz formuliert: Nehme ich die Aufgabe wichtig oder nur mich selbst? Wenn ich das politische Geschäft nur gemacht habe, um mein Ego zu füttern, dann werde ich unheimlich tief fallen, weil mich nichts mehr stützt. Je stärker das Ego an der Macht hängt, von der Macht lebt, um so furchtbarer wird der Absturz sein. Je mehr ich Werte habe, in denen ich ruhe, die von der Macht unabhängig sind, um so leichter wird die Krise zu bewältigen sein. Die Unterstützung durch Freunde, Partnerin oder Partner und die Familie wird in einer solchen Zeit sehr wichtig. Problematisch wird es, wenn ich mich als Politiker so sehr in das Geschäft hineinbegeben habe, daß mir eine solche persönliche Infrastruktur verlorengegangen ist. Das bedeutet für das Training, daß ich mir unabhängig vom Tagesgeschäft eine solche Infrastruktur aufbaue, auf die ich mich verlassen kann. Gerade Familien geben Politikern oft eine starke emotionale Rückendeckung. Das wird nach außen gar nicht so sichtbar.
Nach außen versuchte der rot- grüne Senat, das Bild einer Streitkultur zu vermitteln. Was bei den Wählerinnen und Wählern ankam, war das Bild einer völlig zerrütteten Ehe. Wie kann man sich so verschätzen?
Das hängt mit einer bestimmten Ideologie in der deutschen Linken zusammen. Diese Ideologie, die auch stark von den 68er Ereignissen geprägt wurde, hat die Konfliktfähigkeit in den Vordergrund gestellt. Das war ein regelrechtes Lernziel. Die Konfliktfähigkeit war aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Konsensfähigkeit. Ich führe Konflikte doch nicht um der Konflikte willen, sondern weil ich einen notwendigen Konsens erreichen will, beispielsweise zur Rettung der Natur. Da muß man sich fragen, welche von beiden Seiten der Medaille ich in den Vordergrund stellen will, wenn ich in einer Koalition bin. In Berlin hat der rot-grüne Senat die Konsensseite völlig vernachlässigt. So was akzeptiert der Wähler nicht. Der akzeptiert zwar Konflikte, aber nur dann, wenn hinterher auch was dabei rauskommt. Je sicherer ich mir meiner Sache bin, desto einfacher ist es für mich, Kompromisse zu machen. Für Berlin heißt das: Wäre der Umgang mit Kompromissen in der rot-grünen Koalition vorher souveräner gewesen, hätten beide Parteien bei den Wahlen nicht so schlecht abgeschnitten.
Was kann der letzte Stammhalter einer rot-grünen Koalition — Gerhard Schröder in Niedersachsen — daraus lernen?
Im Vordergrund muß stehen, wofür gestritten wird, was man mit dem Streit erreichen will. Die Konsensfähigkeit muß da, wo sie erreicht wird, auch nach außen vermittelt werden. Man kann und soll zwar sagen, wo es noch Konflikte gibt. Eine Koalition heißt aber, daß im Vordergrund der Konsens steht. Wenn das nicht so ist, gibt es keinen Sinn, eine Koalition zu machen. Interview: CC Malzahn
Dr. Klaus-Stephan Otto (41), Diplompsychologe aus Köln, ist als Organisationsberater tätig. Er arbeitet im Bereich des Managementtrainings für Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften.
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