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Ein Mythos geht baden

■ Kaliforniens Küste von Nord nach Süd

Kaliforniens Küste von Nord nach Süd

VONMATTHIASMELLINGHAUS

Es ist der Traum aller Kids, die auf dem Skateboard im Winter mit neonfarbenen Venice Beach-Jogging-Anzügen, in den warmen Monaten mit ihren California dreamin'-T-Shirts über die Bürgersteige deutscher Städte fegen: California! Die steinernen Platten des Marktplatzes sind dabei nur ein schlechter Ersatz für die pazifischen Wellen. Zudem: Der Ort der Begierde, der Strand Kaliforniens, ist spätestens seit den 68ern auch Bestandteil des linken Mythos von Berkeley, Flower Power, Supershit, Grateful Dead und einem freien, von Spießernormen unbeschwerten Leben: gerade auch Strandleben.

Uns ging es nicht anders; irgendwann war die Zeit reif, das Geld da, alsdann: Go West. Der Blick auf die Landkarte verspricht einiges: die Strecke von San Francisco nach San Diego ist gesäumt von verheißungsvollen Städtenamen wie Pismo Beach, Huntington Beach, Capistrano Beach und so weiter, unzählige kleine State Beaches, staatliche Strände, kommen noch dazu.

Viele davon sind als Campingplätze ausgewiesen, eine vergleichsweise billige Übernachtungsmöglichkeit, wie der überaus nette Reisebüromensch erzählt. Freiheit, Abenteuer, Pferde? Denkste! Selbst der allerkleinste State Beach wird von bewaffneten Rangern bewacht, wahren Hütern der Ordnung, deren Vorfahren allesamt Preußen gewesen sein müssen. Mindestens. Wird außerhalb der „Sicherheitszone“ ein Grillfeuerchen entfacht oder das Zelt — auf einem vollkommen leeren Gelände — an einer anderen als der zugewiesenen Stellplatznummer aufgebaut, kann die empfindliche Spezies von Uniformierten sich zu stundenlangen Belehrungen aufgefordert sehen. Von wegen easy going. Die Sicherheitsneurose der US-amerikanischen Gesellschaft endet nicht am Strand.

September ist der wärmste Monat in San Francisco. Als wir ankommen, fahren wir entsprechend euphorisch gleich über die Golden- Gate-Brücke nach Muir Woods, wo sich nach Auskunft unserer einheimischen Gastgeber ein Strand befindet. Schwitzend angelangt, läßt sich feststellen: ein unangenehm kalter Wind reduziert die Badefreuden zu dreiminütigen Horrortrips und läßt eher an „Husum im Herbst“ denken als an „Sweet California“.

Ernüchtert zieht es uns auf dem Highway 1 entlang der Küste Richtung Los Angeles: Süden — Sonne — Wärme, assoziiert erregt das Hirn. Die Küstenstraße bietet eine abwechslungsreiche Vielfalt von Landschaftsformen. Und eine Unzahl kleiner romantischer Strände, bloß: auch dort ist das Baden angesichts der friesischen Wassertemperaturen nicht zu empfehlen. Vereinzelt tauchen in eine Art Thermo-Ganzkörperkondome eingepackte Gestalten auf. Das müssen Surfer sein.

Durch ein gleichsam schweizerisch sauberes Monterey, wo angesichts der realen die Vorstellung der Steinbeckschen Cannery Row schwerfällt, geht's über Carmel, dem Wohnort der außergewöhnlich Betuchten mit Clint Eastwood als Bürgermeister, weiter südlich.

In Big Sur mit seinen bizarren Wäldern aus Tannen und Redwoods, die einst Jack Kerouac und Henry Miller zu literarischen Höhenflügen inspirierten, liegt der Pfeiffer State Beach — so benannt nach einer deutschen Einwandererfamilie. Vereinzelte Gestalten, vom Highway abgekommen, bauen ihre Sandburgen und blicken sinnierend auf merkwürdige Felsformationen oder den Pazifik. Zum Baden ist es immer noch zu kalt.

Endlich klärt uns ein mitfühlender Zeitgenosse auf, warum: es ist der Golfstrom, welcher arktische Gewässer bis an die Küste Mittelkaliforniens treibt. Nach dieser Belehrung statten wir dem unterhalb des „Hearst Castle“ gelegenen San Simeon State Beach, der obendrein nur aus Geröll besteht, nur eine Stippvisite ab.

Das nächste Ziel ist Santa Barbara, eine Stadt mit außerordentlich attraktiver Kneipenszene, Eintritt jedoch nur mit Paß! Tagsüber besticht eine palmengesäumte Promenade, die der von Nizza ähnelt, und — eben! — ein Strand, wie man ihn sich wünscht: lang, breit und viele Studenten. Erstmals gelingt es, das Drei-Minuten-Limit beim Baden zu brechen. Es wird wärmer.

Noch weiter südlich, in Malibu, tummeln sich die Millionäre und die Surfer. In Scharen liegen sie im Wasser und warten auf die Welle. Kommt die endlich, steht eine ganze Armada blitzschnell auf und gleitet, geschickt mit Armen und Brett herumwedelnd, für Sekunden aufs trockene Ufer zu, um sich anschließend bäuchlings paddelnd wieder Richtung Asien zu begeben. Auf diese Art stundenlang auf ein Dutzend Wellen zu warten, erfordert eine gewisse Stumpfheit, die ihre adäquate musikalische Entsprechung in der Surfing-girl-trallala-Lyrik der Beach Boys findet.

So richtig kitschig wird es erst im Stadtgebiet von Los Angeles, etwa am berühmtesten aller kalifornischen Strände: Venice Beach. Die Mischung aus Extrovertierten, Reichen, Touristenneppern, Originalen, makellosen Schönheiten und Sozialfällen, die sich hier tummelt, ist einmalig; alles sieht künstlich und „abwaschbar“ aus, sogar der Himmel. Direkt an der Strandpromenade findet sich, fast sinnbildhaft, ein „Open-air-Bodybuilding-Center“, wo stählerne Muskelberge sich schweißtriefend abschuften.

Direkt dahinter liegt der Strand — Rimini war nie voller. Die Masse der durchdesignten, perfekten Körper ist überwältigend und der Drang, die Bauchansätze schamhaft mit T- Shirts zu kaschieren, unwiderstehlich. Zum Wiederaufbau des Selbstbewußtseins hilft dann allerdings ein Gesprächsversuch mit einem tarzangleichen Jüngling: In der neuen Welt scheint das „mens sana in corpore sano“ seine Gültigkeit verloren zu haben.

Vorbei an weiteren Surfstränden wie Huntington Beach und Newport Beach geht es nach San Diego. Am örtlichen Mission Beach ist die Mischung der Strandleute nicht so homogen wie in Venice. Soziale Gegensätze zeigen sich an Pennergruppen, die die Promenade an den Zugängen zum Strand säumen. Yuppies joggen vorbei, elegant ihre sündhaft teure und ebenso bunte Sportkleidung zur Schau tragend, und beäugen die Verlierer des amerikanischen Traums mißtrauisch.

Beach Controls überprüfen alle zwanzig Minuten das Strandvolk auf Alkohol. Finden sie eine Bierdose bei Touristen, wird das gottlose Zeug ausgeschüttet. Die Stadtstreicher sind gewitzt und trinken nur aus mit Papiertüten verhüllten Dosen. Erwischt die Patrouille sie jedoch auf frischer Tat, werden sie auf die Stationswagen geladen und abtransportiert. Mit der vielgepriesenen Toleranz Kaliforniens ist es nicht allzu weit her, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ist gesetzlich untersagt. Von wegen easy living.

Um eine Illusion ärmer sitzen wir im Rückflug. Aus dem beim Security Check eingehend geprüften Walkman trällert ein unbekannter, gleichwohl sympathischer Interpret: Jesus loves America, but I don't love neither! Und das hat nicht nur mit Wassertemperaturen zu tun.

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