: Dienstreise nach Singapur
DRV flog seine Mitglieder zur Jahresversammlung nach Singapur aus. Denn man wollte auch die „Stimme der Dritten Welt“ zum Ferntourismus hören. Nur, die sprach kein deutsch.
VONANITAPLEUMAROM
Wie kommt der Deutsche Reiseverband (DRV) dazu, eine Jahresvollversammlung in Südostasien abzuhalten? Warum wurde nicht als Tagungsort Sylt, der Schwarzwald oder die ehemalige DDR gewählt? Für DRV-Präsident Schneider lagen die Gründe auf der Hand: Neben dem naheliegenden Geschäftsinteresse am Ferntourismus, so erfuhr man/frau aus der Eröffnungsrede, war es „der ungeheure verkäuferische Einsatz der Vertreter Singapurs, die den Vorstand des DRV mit großer Intensität und Hartnäckigkeit bestürmt und umworben haben“. Daß 1.500 Konferenzteilnehmer um den halben Globus verfrachtet wurden, um sich zu einer deutschen Mammutveranstaltung in der südostasiatischen Metropole einzufinden, war also dem „liebenswürdigen Drängen“ der Gastgeber zu verdanken!
Aber man wollte in Singapur auch erfahren, ob die immer wieder zu hörende Kritik am Ferntourismus berechtigt sei und ob man/frau sich darauf einzustellen habe. Und dazu fiel dem DRV ein ganz besonderer Streich ein, nämlich Bereiste mit Vertretern des exklusiven Insiderkreises über ihre Probleme mit Tourismus diskutieren zu lassen — und zwar in deutscher Sprache, so lautete die Bedingung. Daß in der Weltstadt Singapur kein Dolmetscher aufzutreiben war, kann man allerdings angesichts des ungeheuren organisatorischen Aufwandes um die DRV-Tagung nur als faule Ausrede werten.
Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Bemühens, einen konstruktiven Beitrag zur Tourismusdebatte zu leisten, sind auch angebracht, wenn sich der DRV erst sage und schreibe vierzehn Tage vor Beginn der Singapur-Tagung mit Tourismuskritikern in Verbindung setzt und die prompte Lieferung eines deutsch sprechenden Bereisten erwartet. Nach verständlichen Schwierigkeiten, so kurzfristig einen geeigneten Menschen zu finden, stieß man/frau auf die „Ökumenische Koalition für Dritte-Welt- Tourismus“ und zufällig auf mich als dort Beschäftigte, die ich zwar selbst keine Bereiste aus der Dritten Welt, aber immerhin der deutschen Sprache mächtig bin. Die, die das Thema am meisten betrifft, blieben also draußen vor der Tür. Um Gerechtigkeit zu schaffen, würde ich vorschlagen, daß thailändische Tourismusgegner einmal DRV-Vertreter und -Vertreterinnen zu einem Gespräch über die „Opfer der Tourismuskritik“ einladen — in thailändischer Sprache, versteht sich.
Für die morgendliche Diskussionsrunde über die Bedeutung und Entwicklung des deutschen Fernreisemarktes aus der Sicht der Zielländer wäre es durchaus ein Gewinn gewesen, wenn sich der DRV einmal Meinungen von Politikern, Planern, Ökonomen oder in der Branche Beschäftigten aus den betroffenen Ländern angehört hätten. Statt dessen wurde die „Stimme der Dritten Welt“ vertreten durch einen in Thailand stationierten deutschen NUR- Vertreter und eine deutsche Dame des Mexikanischen Fremdenverkehrsamtes. Diese schwärmte von der liberalen Tourismuspolitik in Mexiko, die ausländischen Investoren unter anderem eine hundertprozentige Rückführung von Profiten aus dem Tourismusgeschäft gestattet und somit dafür sorgt, daß sich die Bereisten mit den übrigbleibenden Krümeln zufrieden geben müssen. Der NUR-Chef-Reiseleiter aus Bangkok versicherte dem Publikum, daß es in Thailand keinerlei Widerstände gegen Tourismus gäbe und daß Neckermann seit zehn Jahren das gleiche Bergstammdorf in Nordthailand besucht, ohne die geringsten Schäden zu verursachen. (Der gute Mann scheint keine Zeitungen zu lesen, sonst wüßte er über die um sich greifenden Bürgerproteste gegen ungerechten und umweltschädlichen Tourismus in Thailand besser Bescheid.) Wen wundert's da, daß diese Runde einhellig zu dem Ergebnis kam, daß der Ferntourismus für alle Beteiligten ein Segen sei. Der moderierende Schwafelprofessor Andreä, ließ es sich dann auch nicht nehmen, jegliche Vorwürfe über „Ausbeutung“ und „Kolonialismus“ durch Ferntourismus als Blödsinn abzutun. So scheute man sich auch nicht, die Einladung zu einem fürstlichen Abendessen in „kolonialer Atmosphäre“ (so lautete die Ankündigung) anzunehmen.
Die Ausgangsfrage für die Gesprächsrunde am Nachmittag: „Schadet oder nützt der Ferntourismus den Bereisten?“ konnte natürlich nicht ohne die von der Debatte ausgeschlossenen Betroffenen zufriedenstellend geklärt werden. Dafür durfte ich als Vertreterin der Ökonomischen Koalition für Dritte- Welt-Tourismus, die einzige kritische Stimme auf dem Podium, als „Alibi“ herhalten. Aber mit dem „Alibi“ klappte es auch nicht besonders.
In weiser Voraussicht wurde ich neben Andreä plaziert, damit dieser mir in kritischen Situationen das Mikrophon entwenden konnte. Dies geschah dann auch prompt jedesmal, wenn mein Redebeitrag als zu brenzlig oder zu „ideologisch“ empfunden wurde. Und wie kommt's, daß sich ein Moderator in einer nur mit Deutschen besetzten Gesprächsrunde danach erkundigt, ob sich thailändische Buddhisten denn nun wirklich gestört fühlen, wenn Touristenhorden in ihre Tempel einfallen? Ist dies nicht schon ein ausreichender Beweis für die Unfähigkeit, Verständnis und Respekt für fremde Völker und Kulturen aufzubringen? Diese Talkshow konnte so nur als Reinfall enden, denn wer dumme Fragen stellt, erhält bekanntlich auch dumme Antworten. Die Idee, daß sich Branchenvertreter mit Kritikern auseinandersetzen, ist im Prinzip nicht schlecht. Nur — die Kritiker kamen nicht zu Wort. Dafür durften sich 1.500 DRV-Mitglieder vom Segen des Ferntourismus vor Ort überzeugen.
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