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Der „Kaiser von China“ gegen den KGB

Polens Wahlkampf wird zu einer Schlammschlacht zwischen den Anhängern Walesas und Tyminskis/ Tyminski entwickelt sich zum Volkstribun und bekommt Unterstützung von ganz rechts/ Als Sprecher der Unzufriedenen hat er Walesa überholt  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Es ist kurz vor siebzehn Uhr, als Stanislaw Tyminski die fast vollbesetzte riesige Gwardia-Sporthalle in der Warschauer Innenstadt betritt. Ungefähr ein Dutzend Fernsehkameras, Anhänger des Kandidaten und Neugierige stürzen sich auf ihn. Tyminski ist wie immer mit einer größeren Anzahl Leibwächter unterwegs, die entsprechend zur Sache gehen. Ein polnischer Kameramann geht zu Boden, reißt eine Bankreihe mit sich um, rappelt sich auf und filmt ungerührt mit einer Platzwunde an der Stirn weiter, während Tyminski unter dem rasenden Beifall seiner Anhänger das Podium erklimmt. Doch auch Solidarnosc ist nicht untätig geblieben, und die ersten Minuten kämpft Tyminski mit einem ohrenbetäubenden Sprech- und Pfeifchor von der rechten Tribüne. Knapp anderthalb Stunden werden ihm die überwiegend jungen Leute mit „Walesa, Walesa!“-Rufen, verschiedenen unschönen Aufforderungen wie „Tyminski nach Peru“ oder „KGB nach Rußland“ zu schaffen machen, auch wenn die Mehrheit sie gelegentlich mit heftigen „Tyminski, Tyminski!“-Sprechchören, die von der Ehefrau Graziela Tyminski dirigiert werden, übertönt.

„Walesa hatte zehn Jahre Zeit“, beginnt Tyminski seinen Auftritt, an die Solidarnosc-Schreier gewandt. „Was schreit ihr nach Solidarnosc? Das,“ er hält seine Wahlbroschüre hoch, „das ist das Programm von Solidarnosc von 1981.“ Seine Anhänger toben; genau wie die 21 Streikforderungen von 1980 hat auch Tyminskis Programm 21 Punkte. Darin erschöpfen sich allerdings die Gemeinsamkeiten auch schon. „Die Unfähigkeit der Regierung und die Gemeinheit des Auslands wollten aus euch weiße Neger machen“, zieht Tyminski vom Leder. „Professor Sachs ist in Bolivien gewesen, aber nicht zum Vergnügen. Und er ist auch hierher nicht zum Vergnügen gekommen. Er will Euer Kupfer in Schlesien, das heute so viel wert ist wie Öl.“ Sein Erfolg sei es schon jetzt, daß Balcerowicz nicht Premier werde, ruft er und da kommt der Beifall auch von jenen im Saal, die sich bisher zurückgehalten haben. Tyminski versucht, auch Walesa in jenes Boot zu setzen, mit dem Mazowiecki schon in der ersten Runde untergegangen ist: „Diese Regierung ist auch die Regierung Walesas, alle beide sind von jener Solidarnosc, die diese neue Nomenklatura gebildet hat. Diese Clique Walesas“, setzt er hinzu, aber das geht schon wieder im zustimmenden Aufschrei der Massen unter.

Sein zweiter Sieg, bevor die Wahl am Sonntag überhaupt stattgefunden habe, sei es, „daß ich Bischof Kaczmarek entlastet habe.“ Kaczmarek war in den fünfziger Jahren, als Mazowiecki für eine katholische Zeitung vorsichtige prokommunistische Artikel geschrieben hatte, in einem stalinistischen Schauprozeß eingekerkert worden. Tyminski interpretiert das etwas um: „Ich habe Kaczmarek entlastet, der von den Leuten Mazowieckis gefoltert wurde.“ Der Saal tobt, die einen vor Begeisterung, die anderen vor Empörung. Aus der Solidarnosc-Ecke fliegen in einzelnen Salven Obstreste und noch weniger schmackhafte Gegenstände in Richtung Podium, die Leibwächter beraten mit verkniffenen Gesichtern, aber die Obstvorräte im Publikum gehen zur Neige, bevor der Kandidat getroffen wird. Die Stimmung geht langsam auf den Siedepunkt zu, es liegt mehr Agressivität in der Luft als auf jeder anderen Wahlkampfveranstaltung bisher. Zwischen Walesa-Anhängern und Tyminski-Fans fliegen bereits absolut undruckbare Ausdrücke hin und her, Fäuste werden geschüttelt, Rempeleien beginnen.

Ein älterer Mann im Anorak ergreift das Mikrophon und geht auf die „KGB! KGB!“-Rufe von rechts ein: „Überlegt euch mal, wer hier Agent war. Zbigniew Bujak hat die Polizei angeblich vier Jahre lang während des Kriegszustands gesucht und nicht gefunden — sehr seltsam, oder?“

Es folgt eine antisemitische Anspielung auf Adam Michniks Vater und auf Jacek Kuron, „diesen roten Pfadfinder, der der polnischen Jugend das Herz herausgerissen hat; überlegt euch doch, für wen ihr hier schreit, wenn ihr Polen seid.“ Er werde Tyminski unterstützen, aus ganzem Herzen, meint der Mann im Anorak, geht auf den Kanadier zu, umarmt ihn und küßt ihn auf beide Wangen. Der Mann heißt Boguslaw Rybicki, ist Führungsmitglied der kleinen, rechtsradikalen und antisemitischen Splittergruppe „Nationale Partei“ und wegen seiner antijüdischen Ausfälle erst vor kurzem aus einem rechtslastigen Veteranenverband geflogen. Er erhält nicht weniger Beifall als Tyminski selbst.

Der Kandidat erzählt noch eine Weile von der Steuerreform, die dringend nötig sei, attackiert Walesa, debattiert mit einigen Leuten aus dem Saal, die auch ans Mikrophon wollen und verabschiedet sich. Der Abgang verläuft diesmal unblutig, in einem dichten Knäuel aus Leibwächtern, Anhängern, die Bücher und Wahlkampfbroschüren zum Signieren reichen, und Journalisten verläßt er den Saal. Mitten aus dem Knäuel heraus fliegt ein Packen Flugblätter: „Polen, wir befinden uns in totaler Bedrohung. Das internationale Judentum will uns in den Untergang treiben, es tut alles, um die Wahrheit, daß das internationale Kapital Polen ausraubt, zu vertuschen. Die einzigen wahren Vertreter des polnischen Volkes sind die Nationale Partei und die Bauernpartei. Verlangt, daß nur Polen Euch regieren.“

Einzelne Gruppen von Zuhörern stehen noch lange nach der Veranstaltung auf der Straße und debattieren. „Dieser Walesa, ja, gesessen hat er 1981, aber für Dollar. Der gehört doch auch zu dieser Mafia, der hat mit uns doch soviel gemeinsam wie der Kaiser von China“, ereifert sich ein junger Bursche. „Dreißig Jahre lang hab' ich ehrlich gearbeitet und jetzt bin ich arbeitslos“, stimmt ihm eine ältere Frau zu, „das hab' ich von dieser Regierung.“ Der Westen habe immer nur versprochen, aber nichts sei gekommen, „wir müssen uns jetzt selbst helfen“, meint eine andere Frau. „Wehren müssen wir uns“, kreischt eine Frau in mittleren Jahren fast hysterisch in eine Fernsehkamera, „mein Sohn war 1981 in der Armee, umbringen wollen sie den, weil er den Kommunisten gedient hat, als hätt' er's freiwillig gemacht.“ „Judenbande“, brüllt ein alter Mann dazwischen. Daß die gesamte Presse gegen seinen Kandidaten ist, bringt ihn nicht in Verlegenheit. „Fertig machen wollen sie den, wie unter den Kommunisten. Es hat sich nichts geändert.“ Der Kandidat rollt langsam an der Menge vorbei vom Parkplatz, begleitet von seinen Leibwächtern.

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