: Keine Militärpfarrer in die Kasernen
■ Synode von Berlin-Brandenburg fordert Neuregelung der Militärseelsorge und Amnestie für nach Berlin geflüchtete Kriegsdienstverweigerer/ Geltender Militärseelsorgevertrag »nicht akzeptabel«
Berlin-Brandenburg. Die Gemeinsame Synode der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg hat sich für eine Neuordnung der Seelsorge für Soldaten ausgesprochen. Mit der Zusammenführung aller Landeskirchen in Ost und West zu einer neuen Evangelischen Kirche in Deutschland sollte der »Militärseelsorgevertrag« ersetzt werden.
An seine Stelle soll »eine Regelung für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland« treten, die der »Verantwortung der Kirche für die Seelsorge an Zivildienstleistenden und Soldaten Rechnung trägt« und nicht, wie bisher in den alten Bundesländern, in die militärischen Strukturen eingebunden ist. Die Übernahme und Ausdehnung des bisherigen westdeutschen Militärseelsorgevertrages, der im übrigen immer stark umstritten war, auf die Landeskirche Berlin-Brandenburg sei »nicht akzeptabel«. Dieser Beschluß wurde auf der dreitätigen, gestern zu Ende gegangenen Synodaltagung im Evangelischen Johannisstift mit großer Mehrheit gefaßt.
Das Kirchenparlament ging damit über die Ausführungen von Bischof Martin Kruse hinaus. Er hatte am vergangenen Freitag lediglich die Zusicherung gegeben, daß der Militärseelsorgevertrag nicht auf West- Berlin angewandt werde. Die Gemeinsame Synode begründete ihren weitergehenden Beschluß mit den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Veränderungen in Europa und mit der Möglichkeit einer »umfassenden europäischen Friedensordnung«.
Die Kirche würde ihrem Auftrag schaden, hieß es, wenn sie heute »Pastoren an die Seite der Offiziere in die Kasernen« schickte. Die Synode hält eine neue Gesetzgebung zum Zivil- und Wehrdienst für erforderlich.
Eingedenk der Tatsache, daß die Wehrpflicht mit der deutschen Einheit auf ganz Berlin ausgedehnt ist, soll auf landeskirchlicher Ebene für eine gleichermaßen sachgerechte Beratung von Wehrpflichtigen, Kriegsdienstverweigerern und Totalverweigerern gesorgt werden. Die Kirchenleitung wurde beauftragt, sich für eine Amnestie und für einen Verzicht auf nachträgliche Einberufung aller deutschen Staatsbürger einzusetzen, die vor dem 3. Oktober aus Furcht vor der Wehrpflicht nach Berlin flüchteten.
Die Debatte und der Beschluß über die Nichtübernahme des in den fünfziger Jahren zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bundesregierung geschlossenen Militärseelsorgevertrages für ganz Berlin-Brandenburg zeigt, daß die Ostsynoden in der zukünftigen gemeinsamen Synode einen erheblichen Einfluß haben werden. Offiziell wird die Berlin-Brandenburgische Kirche erst in drei Wochen vereint sein. Für eine Übergangszeit bleibt ihre frühere Westregion Mitglied in der EKD und ihre Ostregion Teil des Kirchenbundes auf dem Gebiet der fünf neuen Bundesländer. Sie verfügt über zwei Bischöfe, wobei allerdings der Ostberliner Bischof Gottfried Forck im Herbst 1991 aus Altersgründen sein Amt niederlegen wird.
Die Synodalen vertreten insgesamt 1,8 Millionen Christen, von denen 878.000 in der Ost- und 930.000 in der Westregion wohnen. In beiden Bereichen gibt es insgesamt 870 Einrichtungen des Diakonischen Werkes, für dessen einheitliches Wirken ebenfalls ein gemeinsames Kirchengesetz verabschiedet wurde. adn/epd/taz
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