: “Absolutistisch, inflationistisch, ohne Potenz“
■ Bremer Kunst im öffentlichen Raum: Schubladengutachten der Kunsthochschule ans Licht geholt
In Ermangelung anderer (Kunst-) Pfunde wuchert Bremen seit geraumer Zeit mit zwei glücklichen Alten, die immerzu aus dem Fenster schauen: Für das Wandbild am Remberti-Kreisel ist Bremen bis nach Übersee bekannt. Generell ist es die „Kunst im öffentlichen Raum“ (KiöR), die Bremen in Fachkreisen einen Namen gemacht hat. Ihr Entstehen innerhalb von 15 Jahren verdankt die KiöR einem bundesweit einmaligen Projekt gleichen Namens, für das die Kulturbehörde ein eigenes Referat schuf (Leitung: Hans-Joachim Manske). Im Stadtbild auffälligstes Ergebnis sind die zahlreichen bemalten Bunkerwände.
Seit einem guten Jahr liegt zur KiöR ein Gutachten vor, vom Kultursenator in Auftrag gegeben, von einer Arbeitsgrupe der Hochschule für Künste (HfK) erarbeitet; es verstaubt — unveröffentlicht — bis heute in einer Senatsschublade. Offenbar ist niemand an einer Publikation ernsthaft interessiert. Leiter der Arbeitsgruppe war Prof. Felix Müller, emeritierter Ex-Rektor der HfK und eigentlicher Vater der KiöR. (Auf sein Betreiben hin verlor Anfang der 70er das Bauressort die Verfügung über den „Kunst-am- Bau“-Etat, der als Grundlage des KiöR-Programms zum Kultursenator kam.) Weitere GutachterInnen: Dieter Peppel, Prof. für Kunstgeschichte an der HfK; Albrecht Göschel, Soziologe am Institut für Urbanistik (HfK); Michael Abendroth, Soziologe; Eva Kraus, abgeordnete Lehrerin. Die taz faßt die Hauptkritikpunkte des Gutachtens zusammen.
1. „Öffentlicher Raum und die Macht, ihn mit Kunstwerken zu besetzen“: So überschreibt F. Müller ein Kapitel des Gutachtens zur KiöR in Bremen. „Kunstwerke im öffentlichen Raum sind Manifestationen von ... Macht in der Gesellschaft“, das galt für den Obrigkeitsstaat, wie es für eine Demokratie gilt. Und besonders gilt das für die zahlreichen Wandbilder mit ihrer „kolossalen Geste, deren Dominanz im Blickfeld primär von der Macht spricht, die über den Stadtraum absolutistisch verfügt.“ (Peppel) Und Abendroth beschreibt die vorherrschende Erfahrung des Souveräns „Volk“ im Umgang mit der KiöR im Klartext: „Wenn der Senator eine bestimmte Kunst möchte, dann bekommt er sie auch. Und wenn er sie nicht möchte, findet sie nicht statt.“ Diese Worte gelten einem klassisch sozialdemokratischen Modellprojekt, das angetreten war, im Sinne von Aufklärung, Emanzipation und Demokratisierung zu wirken, gerade im Bereich der Kunst, gerade in „kunstfernen“ Bevölkerungsteilen.
2. Die Finanzen: Mitte der 70er Jahre ging es den öffentlichen Haushalten gut, die Bremer KiöR startete mit einem Etat von 1,3 Mio; 1981 waren es noch 50.000 Mark, heute ist es neben der Stiftung „Wohnliche Stadt“ das Arbeitsamt, das das Projekt mit ABM-Stellen am Leben hält. Das schlägt auf die künstlerische Qualität durch: „Indem nicht mehr das Ergebnis, das künstlerische Objekt, sondern von vornherein die daran gebundene Arbeit bezahlt ... werde, könnten Trägheitsmomente in das Auftragsverhältnis kommen, die mit dazu beitrügen, das Niveau insgesamt zu senken“, zitiert Abendroth „Kritiker“. Und Müller zitiert den Senator selbst mit den Worten, daß durch die ABM-Beschäftigung“ die Herausforderung künstlerischer Potenz durch Wettbewerbe fast aufgehoben“ werde.
3. „Die Koalition in der 'Reform- Elite' ist zerbrochen“, konstatiert Müller mit Blick auf die KünstlerInnen, die sich zwischen ihrem Wunsch nach Autonomie / künstlerischer Freiheit und der Erwartung, „lesbar“, stadtteilbezogen und verantwortlich gegenüber
Kunst im fiktiven Raum, real öffentlich. Hier: Am Theater am LeibnizplatzFoto: Sabine Heddinga
den AnwohnerInnen zu arbeiten, aufgerieben fühlten.
4. Die von Kunst betroffene Bevölkerung fühlte sich, besonders deutlich bei politischen Wandbildern, verschaukelt bei dem Versuch, ihr Wohnfeld mitzubestimmen. Eine Fachjury entscheidet, des Volkes Ansprüche werden zwar als legitim angesehen, aber letztlich setze sich — legal — die Behörde durch. Eindruck bim Volk: „Kunstdiktatur“, „Indoktrination von oben“.
5. Künstlerisch hat sich die KiöR ebenfalls totgelaufen. Unter dem Primat der „Lesbarkeit“ entwickelte sich der sog. „Bremer Realismus“. „Die für KiöR tätigen Bremer Künstler sind fast ausnahmslos Absolventen oder Professoren der hiesigen Kunsthochschule. Fast ausnahmslos malen sie figurativ-realistisch.“ (Peppel) Und weiter: „Die Bremer Kunsthochschule, die Bremer Kunsthalle und der Bremer Senat Hand in Hand 'realistisch'.“ Ziel, so Abendroth, sei die „Scheidung des Bösen vom Guten, das die Kunst meist parteiisch-eindeutig um Ausdruck bringt.“ Die Bremer Kunst stehe quer zu den aktuellen überregionalen Trends und sei in ihrer Wirkung „inflationistisch“. „Das 60. Wandbild oder die 37. Skulptur regt keinen mehr auf.“ Das KiöRModell gelte „zumindest als hi
hier bitte foto
von
der skulptur
storisch überholt“.
6. Felix Müller legt eine Reihe von Vorschlägen vor, wie sein „Kind“ möglicherweise zu retten ist. Auf keinen Fall dürfe Künstlern weiter ein Thema aufgezwungen werden. Außerdem müsse man überlegen, ob KiöR für immer geschaffen und erhalten werden müsse. Ein Modell wäre, daß junge Künstler über mehrere Jahre an einem Platz arbeiten; danach entscheiden die Anwohner, ob sie das Kunstwerk behalten möchten. Mit Sponsorengeldern soll auswärtige Kunst nach Bremen gelockt werden. Insbesondere müssen wieder Haushaltsgelder für die KiöR die ABM-Finanzierung ersetzen. Und: Der Senator muß sich verpflichten, die Juryentscheidungen anzuerkennen; für den Fall, daß die Anwohner gegen die Entscheidung der Jury votieren, soll das Kunstwerk nicht realisiert werden. Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen