Philipp S.: Lebenslang im Computernetz

Wegen eines unbestätigten Verdachtes im Datenspeicher der Behörden gefangengehalten  ■ Aus München Luitgard Koch

Es bleibt dabei. Bei jedem Grenzübergang muß Philipp S. weiterhin damit rechnen, daß er aus der Schlange gewunken, sein Ausweis lange überprüft wird und er den Kofferraum seines Wagens öffnen muß. Eine halbe Stunde dauert diese Prozedur. Seit vor zwei Jahren die Grenzpolizei in Rudolphstein in seinem Auto Broschüren fand, die nach Ansicht der Beamten von den „Revolutionären Zellen“ stammen könnten, ist er das „Objekt der Begierde“ des Überwachungsapparats. Drei Monate wurde sein Telefon „ergebnislos überwacht“. Das Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung der RZ wurde längst eingestellt. Die Daten des Philip S. bleiben dennoch weiter in den Polizeicomputern. Und das anscheinend lebenslang, nachdem nun auch das Bayerische Verwaltungsgericht, abgesichert über die in Kraft getretene Verschärfung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, entschied: „Ein Löschungsanspruch besteht nicht“.

Die bayerischen Richter geben den Polizeibehörden recht: „Philipp S. ist ein potentiell Verdächtiger“, sind sie sich mit der Ordnungsmacht einig. Nach wie vor bestehe ein „Restverdacht“, beharren Richter und Polizei. „Bei der Speicherung dieser Daten handelt es sich um einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“, argumentierte dagegen vergebens der Münchner Anwalt Hartmut Wächtler vor den Gerichtsschranken. Ihren „Restverdacht“ bezieht die Polizei auch aus weiteren, längst eingestellten Verfahren gegen den WAA-Gegner Philipp S. Das bayerische „WAAhnsinnsprojekt“ ist zwar längst passe, der Widerstand dagegen stempelt Bürger immer noch zu Kriminellen. So handelte sich Philipp S. bei der zweiten Platzbesetzung in Wackersdorf ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung ein, weil er nicht gleich bei der ersten Aufforderung der Polizei das Hüttendorf verließ. Aber auch dieses Verfahren wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Der Widerstand gegen die WAA bescherte ihm auch gleich noch ein zweites Verfahren. Diesmal wegen angeblichen Landfriedensbruchs, als die Polizei in einer Nacht- und Nebelaktion ein Zeltlager mit 273 Atomkraftgegnern überfiel und alle in Vorbeugehaft steckte. Freilich verlief auch dieses Verfahren im Sande. Die Polizeibehörden fanden jedoch noch einen Grund, warum sie die Daten von Philipp S. einfach nicht mehr hergeben wollen. „Sachbeschädigung“, hieß es, weil der Student mit Flugblättern zum Boykott durch Abschneiden der Kennziffern auf den Volkszählungsbögen aufrief. Daß auch dieses Verfahren eingestellt ist, interessiert herzlich wenig. Zu guter Letzt muß er sich auch noch gegen den Verfassungsschutz wehren. Der nämlich wollte ihn als Spitzel anwerben.

„Bei politisch motiviertem Tatverdacht ist nach kriminalistischer Erfahrung im allgemeinen die Annahme erlaubt, daß Wiederholungsgefahr besteht“, rechtfertigen die Richter ihren „Restverdacht“. Und damit stellen sie den Polizeibehörden einen Freibrief für ihre Datensammelwut aus. Aufgrund bayerischer Besonderheiten kann dieses Urteil aber für Philipp S. nicht nur lange Wartezeiten an den Grenzübergängen bedeuten, sondern auch, daß er zwei Wochen im Knast verschwindet. Dazu genügt, daß er vor einer Demo in eine Polizeikontrolle gerät und seine gespeicherten Daten ihn als „Störer“ ausweisen, der ohne weiteres in „Unterbindungsgewahrsam“ geschleppt werden kann.