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Am Traum Deutschland nagt Enttäuschung

Wachsende Unruhe unter 986 albanischen Botschaftsflüchtlingen in Nordrhein-Westfalen: Jene, die mit großer Geste in einer „humanitären Hilfsaktion“ aufgenommen wurden, wissen heute nicht, was im Januar mit ihnen passieren wird  ■ Von Bettina Markmeyer

Gelsenkirchen (taz) — „Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um uns an Kartoffeln sattzuessen und dann wieder zu gehen. Wir sind aus politischen Gründen hier.“ Der das sagt, Avni Aliko, hat als Regimegegner zwanzig Jahre in den Gefängnissen Albaniens gesessen. Sein eigener Vater, ein Oberst im albanischen Innenministerium, dem Teile des berüchtigten Geheimdienstes unterstanden, hatte dafür gesorgt, daß Avni nicht freikam. „Mein Vater war ,Held des Volkes‘ und ich ,ein Feind des Volkes‘. Ich war ein Gegner meines Vaters.“ Ein halbes Jahr nach dem Tod des eisigen Oberst wurde Aliko entlassen. Das war im November 1987. Sein Name, nicht der seines Vaters, hat heute in Albanien einen guten Klang.

„Wir sind für immer hierhergekommen“

Alikos Wort gilt auch in Gelsenkirchen. Dort lebt der 41jährige jetzt: mit über 60 Landsleuten in den überfüllten, heruntergekommenen Flüchtlingsunterkünften an der Florastraße. Sie alle gehören zu jenen 3.200 AlbanerInnen, die aus dem Land durch ihre waghalsige Flucht in die deutsche Botschaft in Tirana entkamen. Im Juli erreichten sie via Italien die Bundesrepublik. 986 AlbanerInnen nahm Nordrhein-Westfalen auf und verteilte sie in alle Ecken des Landes. Und überall wächst in diesen Wochen die Unruhe unter den Botschaftsflüchtlingen. Sie, die die Bundesregierung mit großer Geste in einer „humanitären Hilfsaktion“ aufgenommen hat, wissen heute nicht, was im Januar mit ihnen passieren wird. Dann nämlich läuft die ihnen in NRW gewährte sechsmonatige Aufenthaltserlaubnis ab.

„Unser Status muß geklärt werden“

„Das Allerwichtigste für uns ist“, sagt Avni Aliko, „daß endlich unser Status hier geklärt wird. Für mich und andere, die im Gefängnis gewesen sind, droht in Albanien immer noch größte Gefahr. Wir sind für immer hierhergekommen.“ Überall zwischen Bielefeld und Köln, von Bonn bis Höxter beratschlagen die Botschaftsflüchtlinge derzeit, wie sie sich Gehör verschaffen können. An ihnen nagt nicht nur die Enttäuschung ihres „Traumes von Deutschland“, wie es ein Freund und Leidensgenosse Alikos ausdrückt, sondern auch miserable Unterkünfte, die nur notdürftige Versorgung mit Essen und Kleidung und mangelnde Zukunftsperspektiven. Mehr noch zermürben sie behördliche Willkür und die Unsicherheit ihrer hiesigen Existenz. Und die ist in der Tat augenfällig. Niedersachsen, Berlin und Hamburg erkannten die AlbanerInnen aus der deutschen Botschaft anstandslos als Flüchtlinge nach der Genfer Konvention an. Sie gaben ihnen einen Paß und damit auch ein dauerndes Aufenthaltsrecht, Arbeitserlaubnis, freie Wohnsitzwahl. In Bayern und Hessen dagegen sind die Botschaftsflüchtlinge nur geduldet, das heißt, ihre Abschiebung ist ausgesetzt, kann aber jederzeit vollzogen werden, wenn sich die Verhältnisse im Herkunftsland ändern. NRW ging den Mittelweg und gab den AlbanerInnen eine zunächst nur sechsmonatige Aufenthaltserlaubnis, weil, wie es in der entsprechenden Weisung des Innenministers an die Regierungspräsidenten vom 19. Juli 1990 heißt, „im Hinblick auf die unklare politische Entwicklung in Albanien eine Verfestigung des Aufenthalts nach Möglichkeit vermieden werden“ soll.

NRW-Regierung will Anerkennung umgehen

Mit anderen Worten: Die nordrhein- westfälische Landesregierung will eine Anerkennung der AlbanerInnen als Flüchtlinge umgehen. Genau das ist nach Meinung des Rechtsanwalts Eberhard Haberkern jedoch nicht rechtens. Der Essener Anwalt, der mittlerweile nahezu die Hälfte aller nordrhein-westfälischen Botschaftsflüchtlinge vertritt, macht geltend, daß die Bundesregierung die AlbanerInnen im Juli nach Paragraph 22 des Ausländergesetzes als sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ aufgenommen hat, woraufhin sich die Länder verpflichteten, sie zu übernehmen und unterzubringen. Kontingentflüchtlinge jedoch sind nach Artikel 1 des entsprechenden, seit 1980 gültigen, Gesetzes über ihre Rechtsstellung Flüchtlinge nach der Genfer Konvention, müßten also unverzüglich — wie bisher nur in Niedersachsen, Berlin und Hamburg geschehen — Paß und unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Nach Auskunft von Haberkern seien, beispielsweise in Mülheim, städtische Ausländerbehörden in NRW dagegen von den Regierungspräsidenten angewiesen worden, keine Anträge auf Paß und Daueraufenthalt für die AlbanerInnen auszufüllen.

„Ein Blick in das Gesetz“, so Haberkern, „müßte eigentlich reichen, um für die Albaner den Status anerkannter Flüchtlinge festzustellen. Statt dessen leben sie bei uns in einer rechtlichen Grauzone. Die Ämter können mit ihnen machen, was sie wollen.“ Die Bedingungen für die Botschaftsflüchtlinge sind von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Fast alle haben eine Arbeitserlaubnis, in Bottrop und Eschweiler jedoch wurden einige mit Arbeitsverbot belegt. Anfangs wollte man auch in Gelsenkirchen-Buer keiner/m AlbanerIn die Arbeit gestatten, im Rathaus Gelsenkirchen-Mitte dagegen gab es die Erlaubnis. Obwohl sie im Gegensatz zu AsylbewerberInnen arbeiten dürfen, werden die AlbanerInnen andererseits jedoch wie jene behandelt. In den meisten NRW-Städten erhalten sie nur Naturalverpflegung, Kleidergutscheine und ein Taschengeld und leben in denselben Unterkünften.

In einem Rundbrief vom 12. November teilte das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das sich im Sommer in Tirana an der Hilfsaktion beteiligte, unterdessen seinen mit den AlbanerInnen beschäftigten Ortsverbänden mit, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf beabsichtige, „die betroffenen Personen als Asylberechtigte anzuerkennen“. Um ihre Anerkennung zu garantieren, sollten sie in den Asylanträgen vermerken, daß sie über die deutsche Botschaft geflohen sind. Auch im nordrhein-westfälischen Innenministerium, so ein Sprecher, hat man von den bevorstehenden Asylverfahren gehört.

Avni Aliko und seinen Landsleuten jedenfalls nützen vage Absichtserklärungen nichts. Sie glauben nicht an Veränderungen in ihrer Heimat, „solange auch nur ein Kommunist noch im Apparat sitzt“. Auch die für Februar angekündigten Wahlen könnten, so Aliko, unter der Regie des Regimes keine freien Wahlen sein. „Wir müssen hierbleiben. Und deshalb brauchen wir einen sicheren Status.“

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