„Ernst Jünger wär' jetzt zu früh“

■ Gespräch mit Hans Kresnik zu seinem neuen Tanzstück „König Lear“ (Premiere 11. 1.) und versuchsweise zum Bremer Theater

Hans Kresnik

Der monströsesten eine ist Shakespeares Tragödie „König Lear“. Es ist die sagenhafte Geschichte des senilen Königs Lear, der sein Reich zu früh an seine eiskalten Töchter Regan und Goneril verteilt. Die Jüngste, Cordelia, geht leer aus, weil sie dem Vater nicht schmeichelt. Daneben wüten die Söhne des Grafen Gloster: Edgar und Bastard Edmund. Selbstverständlich kulminiert alles grauenvoll. Eine klasse Vorlage also für Bilderraser Hans Kresnik.

taz: Was machen Sie aus König Lear?

Hans Kresnik: Das Ganze ist eine familiäre Inzestgeschichte. Das hat Shakespeare auch klar geschrieben. Bei mir spielt dieser Lear einmal wie in einer Endstation von Beckett, in einem Bunker oder Irrenhaus. In dem nächsten Raum dahinter schneit es. Es gibt drei Stufen: Bei Lear sind die Menschen in Käfige gesperrt wie bei Ceaucescu. Wenn Goneril und Regan die Macht übernehmen, wird es militärisch. Und Edgar ist noch gefährlicher: die Menschen werden nur noch bürokratisch behandelt, wie bei Faschisten — alles wird registriert; und wie mit ihnen in nächster Zukunft umgegangen wird, ist völlig ungewiß — so kommt's ja auch wahrscheinlich bei uns in den nächsten Jahren. Ist doch ein reiner Menschenhandel geworden jetzt.

Foto:Forum

Wieso ausgerechnet Shakespeare?

Die Geschichte von Lear ist eine gegenwärtige Geschichte. Wenn man mal Mielke und Honecker anschaut: Wer ist denn da momentan mehr Lear als wie die beiden? Den Lear will ich schon lange machen, aber die jetzige Situation ist für mich sehr günstig. Ich wollte ja Ernst Jünger machen. Der wär' aber jetzt zu früh.

Wieso zu früh, wieso überhaupt so einen Scharfdichter?

Naja, Ernst Jünger hat sehr viel mit Deutschland zu tun. Kohl sagt doch auch, er sei sein Freund. Und was für'n Deutschen soll man denn heute zitieren, der Gewalt verherrlicht? Also der gehört schon zum Programm in den nächsten Jahren. Aber erst möcht' ich sehen, wie fett die Deutschen werden.

Wie lange, glauben Sie, müssen Sie da warten?

Zwei Jahre.

Nicht schneller?

Kohl wird schon dafür sorgen, daß sich das nicht schneller ändert. Wenn man die Getreidepreise runterhandelt, Rußland arm werden läßt ...

Und was planen Sie für die Zwischenzeit?

Der Plan ist jetzt, daß ich die „Lustige Witwe“ in Stuttgart mach', aber nur mit Männern, musikalisch auf Comedian Harmonists- Niveau. Das wird die pure Sicht der Männer in der Welt.

Was ist denn das für eine?

Das kann nur sein, daß dann die Grisetten 11- oder 10jährige Mädchen sind.

Aha.

Was schauen sich die Männer denn an?

Ich bin kein Mann.

Ist doch schamlos, was die Männer in Bangkok und Hongkong machen.

Apropos Männerphantasien: Haben Sie eigentlich welche bezüglich vakanter Intendantenstellen?

(lacht breit) Ja klar.

Sie wollen selbst ja leider nicht. Fragt Sie der Senat jetzt nach anderen Kandidaten?

Ja.

Wollen Sie die schöne Situation, daß Sie sich verdient machen könnten, nicht ausnützen? Schließlich gibt es die historische Chance, Intendanz, Oberspielleitung, Verwaltungsdirektion und Opernleitung auf einen Schlag neu zu besetzen.

Gute Situation.

Warum?

Naja, wenn die Situation schon so ist, dann muß man doch jetzt wirklich mal ins Volle greifen, oder?

Eben. Vielleicht könnte man wieder so aufregende Zeiten wie damals mit Hübner herstellen?

Wenn sich politisch wieder was ändert. Wenn die Würmer wieder anfangen, größer zu werden.

Welche Würmer?

Bewegungen in der Gesellschaft oder in der Politik, die bewirken auch immer am Theater etwas. Wenn aber so eine Flaute wie jetzt ist, dann kommt man leicht auf irgendwelche Klamotten.

Welche?

(lacht breit) Es ist mir alles wurrrscht im Prinzip, es muß nur funktionieren.

Sie interessieren sich doch sonst für alles mögliche? Gibt es überhaupt keine spannenden Kandidaten mehr, unter denen man aussuchen könnte?

Naja, es gibt immer wieder Intendanten und Verwaltungsdirektoren in Deutschland, die von Haus zu Haus ziehen, alles 'runterwirtschaften und beschissen sind, aber irgendwie eine Lobby in der Presse haben und hochgelobt werden. Und auf die fallen Politiker gerne rein, die keine Ahnung haben und bloß denken: aah, was für ein großer Name!

Gespräch: Claudia Kohlhase