: Die menschgestützte Schachmaschine
Während der Weltmeisterschaften der Schachspieler ermittelten auch die Computer ihren Champion „Mephisto“ gewann, aber den verzwickten Gewinnzug für Weltmeister Kasparow fand auch er nicht ■ Aus Lyon Stefan Löffler
Vorbei sind längst die Zeiten, da ein Sieg gegen den Kaufhaus-Schachcomputer auf Spielstufe drei der Einstellungstest für den Schachverein war. Die besten Schachprogramme reichen heute an die Spielstärke von Profis heran. Der Tag, an dem ein Rechner den Weltmeister herausfordern wird, ist in Denkweite gerückt.
Für Schachgott Kasparow stand lange Zeit fest: Frauen und Computer werden nie wirklich großes Schach spielen. Unlängst hat er sich korrigiert. Aber nicht zugunsten der kampfschwachen Frauen, sondern von den institutionslosen Maschinen erwarte er in frühestens zehn Jahren Konkurrenz. Damit stimmt er mit den Prognosen der Expertern in Sachen Computerschach überein.
Die Ausnahme sind die Optimisten beim „Deep-Thought“-Team. Der Technologieriese IBM beschloß, sein Programm so mit Software aufzurüsten, daß es schon 1992 den guten Garri in Zugzwang bringen soll. Momentan schaffen es die schnellsten Rechner der leistungsfähigsten Programme, etwa eine Million Züge oder Stellungen auf den 64 Feldern pro Sekunde zu berechnen. Schon in zwei Jahren soll „Deep Thought“ eine Milliarde schaffen.
Aber selbst damit kann er — bei einer Turnierbedenkzeit von durchschnittlich drei Minuten pro Zug — nur etwa vierzehn Halbzüge, sieben weiße und sieben schwarze, voraussehen. Es gibt mehr mögliche vierzigzügige Schachpartien als Atome im Weltall. Die mathematische Lösung des Schachs ist also noch unvorstellbar weit entfernt.
„Brutale Gewalt“ ist der falsche Weg, sagen die Kritiker von „Deep Thought“ in Anspielung auf das pure Berechnen aller möglichen Zugfolgen. Die entgegengesetzte Philosophie vertritt das in München produzierte kommerzielle Programm „Mephisto“. Der Computer soll nicht jeden sinnlosen Zug berechnen, sondern die besten auswählen.
In den ersten drei Jahrzehnten nach dem Weltkrieg war Computerschach eine Domäne der Universitätsforschung. In den Vereinigten Staaten galt es an manchen Hochschulen als schick, einen schachverrückten Professor mit der Aufgabe zu betrauen, ein starkes Schachprogramm zu entwickeln. Die ersten Computerturniere Mitte der sechziger Jahre waren nicht zuletzt ein Imagewettstreit zwischen US-amerikanischen und kanadischen Universitäten.
„Bei den ersten Wettbewerben geschah es häufig, daß die Zuschauer zu lachen anfingen“, erzählt Computerveteran Mike Valvo. Wenn eines der Rechnerungetüme sich zum Beispiel weigerte, den König aus dem gegnerischen Schachgebot zu ziehen oder völlig sinnlos begann, immerzu mit einer Figur zwischen zwei Feldern zu pendeln.
Beim heutigen Wettbewerb der Marktanteile und dem Wettlauf, als erstes Programm den Weltmeister zu besiegen, kommt der wissenschaftliche Austausch oft nur noch zwischen den Amateuren zustande. In Computerschachzeitschriften wird nur veröffentlicht, was an der Spitze ohnehin bekannt ist.
Neben dem Wettkampf zwischen Garri Kasparow und Anatoli Karpow fand in Lyon auch eine Weltmeisterschaft der Mikrocomputer statt. Großrechenanlagen wie „Deep Thought“ waren dort nicht zugelassen, denn das Reglement schrieb vor, daß die Programmierer ihre Geräte alleine tragen können. In einem Hinterzimmer des ganz im Zeichen des Schachs stehenden Palais des Congres herrschte eine völlig andere Atmosphäre als bei Garri und Anatoli. Während sie ihre Züge austüftelten, zeigten sich die Programmierer auf dem Brett die besten Varianten. Unvorstellbar auch, daß im großen Saal Brosamen und Kaffee aufs Brett verschüttet werden.
Spannend wurde es während des Computerturniers nur, als „Mephisto“ gegen das französische Amateurprogramm „Echecs 1,9“ auf Verlust stand. Aber Marc Fran¿ois Baudot hatte den gewinnverschenkenden Fehler am Vorabend begangen, als er einen hohen, negativen „contempt factor“ einprogrammierte.
Gegen den hohen Fvoriten sollte seine Maschine nur auf Gewinn spielen, wenn sie einen großen Vorteil erreicht hatte. Also akzeptierte sie weit entfernt von Verlustgefahren ein Remis durch Zugwiederholung, und der erwartete Turniersieger stand fest. Für „Mephistos“ Hersteller standen immerhin mehrere Kisten Werbematerial für den nach Turnierende beginnenden Verkaufsbeginn als „Computerweltmeister“ auf dem Spiel.
Manche Rechner maßen sich auch an, die Züge der menschlichen Schachweltmeister zu kommentieren. Was bringt mehr Publicity als die Meldung: „,Mephisto‘ fand Gewinnzug für Karpow!“
Lange hielt sich in Lyon das Gerücht, daß ein Computer das entscheidende Turmmanöver zuerst gesehen hatte, mit der Kasparow die über drei Sitzungen gehende Marathonpartie endlich gewann. Pustekuchen, schon als die erste Hängepartie noch lief, hatte Max Dlugy, ein mit dem Weltmeister befreundeter Großmeister aus den USA, die goldene Nase. Über ein Kabelnetz hatte er die Züge verfolgt und einen Journalisten im WM-Pressezentrum von seiner Entdeckung informiert.
Aber auch Karpows Lager fiel es nicht schwer, zum selben Resultat zu kommen. Sekundant Ron Henley bemerkte nach Beendigung der Partie, daß man sogar drei Gewinnwege für Gegner Kasparows gefunden habe. Dagegen tappte der erstmals bei einer Weltmeisterschaft zur Analysearbeit eingesetzte Computer absolut im Dunkeln.
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