: Schamir will Palästinafrage umgehen
Der israelische Ministerpräsident muß sich in Washington mit den durch die Golfkrise veränderten Interessen der USA auseinandersetzen/ Schamir: „Keine diplomatische Lösung auf Kosten Israels“ ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Der israelische Ministerpräsident Schamir muß sich gestern bei seinem Gespräch mit US-Präsident Bush mit dessen Forderung konfrontiert gesehen haben, daß Israel frische Ideen zur Erneuerung des Friedensprozesses im Nahen Osten auf den Tisch legen solle. Andernfalls werde es Washington immer schwerer fallen, die Forderung nach Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz von der Tagesordnung des UNO-Sicherheitsrates fernzuhalten.
Doch der israelische Premier lehnt jegliche Verknüpfung der Palästinafrage mit der gegenwärtigen Krise am Golf strikt ab. Schamir bekräftigte am Montag in New York, wo er den mit 100.000 Dollar dotierten „Jabotinski-Preis“ entgegennahm, er werde keine Verhandlungslösung der Golfkrise „auf Kosten des jüdischen Staates“ hinnehmen. Israel sähe dies als eine an München erinnernde Kapitulation. Israel 1990 sei jedoch „nicht die Tschechoslowakei von 1938“.
Israel wäre zu einem militärischen Schlag gegen das irakische Kriegspotential und das Regime Saddam Husseins bereit gewesen. Ein Angriff ohne Erlaubnis Washingtons ist jedoch schwer denkbar. Die Beziehungen zwischen den USA und Israel haben sich im letzten Jahr erheblich verschlechtert, vor allem, da die neue rechtsgerichtete Regierungskoalition in Israel nach US-Meinung zu wenig Rücksicht auf die Interessen der US-Politik im Zeitalter nach dem kalten Krieg nimmt. Dies könnte dazu führen, daß Washington bei der Entscheidung über neue Allianzen im arabischen Raum, die im Zuge der Golfkrise entstanden sind, weniger Rücksicht auf Jerusalem nimmt.
Freundlicheres Gehör als im Weißen Haus und im State Department wird Schamir am Mittwoch im Kongreß finden, wo er weiterhin ziemlich großen Einfluß hat. Mit Wohlwollen wird Schamir dabei zur Kenntnis nehmen, daß eine ungewöhnliche Koalition von liberalen Demokraten und eher konservativen Republikanern am Montag die Bildung eines „Komitees für Frieden und Sicherheit im Golf“ bekanntgegeben hat. Das Komitee fordert von Präsident Bush, in jedem Falle die „Beseitigung oder Zerstörung“ der irakischen Massenvernichtungswaffen herbeizuführen.
Überlegungen über neue diplomatische Schachzüge im Nahen Osten zielen gegenwärtig eher auf eine Umgehung des israelisch-arabischen Konflikts. So wird darüber nachgedacht, ob von Washington aus Gespräche zwischen Jerusalem und Damaskus eingeleitet werden, die die schrittweise Beendigung des Kriegszustands zwischen beiden Staaten zum Ziel hätten. Sodann könnte Israel eine internationale Konferenz vorschlagen, die lediglich die Einschränkung der Massenvernichtungswaffen in der Region zum Thema hätte. Ein dritter Vorschlag beinhaltet die Realisierung einer Autonomieregelung nur im Gazastreifen.
Ein anderes für Israel brennendes Problem ist die Mobilisierung massiver ausländischer Finanzhilfe für die Integration jüdischer Einwanderer aus der UdSSR. Dafür benötige man in den nächsten fünf Jahren bis zu 30 oder 40 Milliarden Dollar.
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