: Wieder in der Schauburg: Edith, klingendes Pathos
Ja, diese Stimme. Dieses mächtige Schmettern, das bohrende Vibrato, die Inbrunst und das Pathos, das ist sie, Edith Piaf, wie wir sie erwartet hatten. Dieses winzig kleine Energiebündel, so groß, wie nur kleine Menschen sein können — Edith Piaf, wie erwartet. Die sorgfältig halbrund gefeilten Augenbrauen, der große Mund und das tiefgegrabene Lachen, der weit in den Nacken geworfene Kopf — Edith Piaf. Das alles verschnürt, mit etwas Liebe und Tragik und dem unaufhaltsamen Weltengang in ein Filmpaket verpackt, auch das hatten wir erwartet, denn schließlich sitzen wir im Kino und das ist für die großen Gefühle zuständig und für ihre mehrspurige Erzeugung.
„Etoile sans Lumiere“ (1946), in der deutschen Fassung etwas ungelenk „Chanson der Liebe“ überschrieben, das Film-Debut Edith Piafs, ist ein klassisches Melodram mit allem was dazu gehört. Die arme Maus und Haushaltshilfe Madeleine (Edith Piaf), die umjubelte, extravagante Filmdiva (Mila Parely), die sich mangels tonfilmtauglicher Stimme von der neuen Technologie bedroht fühlt und in häusliche Tyrannei und Depression flüch
tet, der miese, geile Impressario (Jules Berry), der als Motor für den fatalen Drang der Geschichte dient, und Pierre (Yves Montand), der provinzielle Automechaniker, und Gaston (Serge Reggiani), der tüftelige Toningenieur aus der Film-Metropole, die beiden jungen Männer, zwischen denen Madeleine die garantiert falsche Wahl trifft. Dazu gehört auch der glänzende Tonfilm-Erfolg der Playback spielenden Stummfilm-Diva mit Madeleines Stimme, gehört der Verrat in den verschiedenen Varianten, die enttäuschte Liebe, gehören große Hoffnungen und ebensolche Enttäuschungen und der Gevatter Tod. So ganz nebenbei hat Regisseur Marcel Blistene in „Etoile sans Lumiere“ in seinem Rückblick auf den Zeitensprung als der Tonfilm den Stummfilm ablöste und Scharen von Schauspielern in ihrer Existenz bedroht waren, das Filmbusiness mitthematisiert. In den Nebensätzen seiner Bilder nistet er lapidar zugespitzte Milieustudien ein und würzt so seinen Film mit messerspitzen Kommentaren über seine Entstehungsbedingungen. step
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