Es geht nicht um Ethnien

■ Die Leiterin des Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten (AMKA) in Frankfurt am Main, Rosi Wolf-Almanasreh INTERVIEW

taz: Multi Kulti ist durch eure Arbeit in Frankfurt nachgerade zu einem Modewort geworden. Freut Dich das?

Rosi Wolf-Alamanasreh: Nein, natürlich nicht! Ich bin darüber sehr unglücklich, daß sich gerade die besser ausgestattete Mittel- und Oberschicht damit schmückt. Sie nehmen den Alltag von AusländerInnen in der Bundesrepublik, der sich eben nicht nur zwischen dem Leeren der Mülltonnen und dem exotischen Restaurant abspielt, nicht wahr.

In dem Buch Multi Kulti , das Claus Leggewie gerade herausgegeben hat, werden die Probleme des Zusammenlebens zwischen Einheimischen und Ausländern auf soziologische und ethnische Probleme der deutschen und der Weltbevölkerung und auf die breite Palette vom Zerfall der Werte und der Identität reduziert. Was hältst du davon?

Ich sehe diese Probleme auch. Aber ich meine, daß das letztendlich vorgeschoben ist. Es geht eben nicht in erster Linie um Ethnien, sondern um soziale und ökonomische Probleme und Ängste. An denen diskutieren wir vorbei, wenn wir nicht endlich darüber reden, daß es insgesamt zu wenig Wohnungen gibt, daß der Schulunterricht bisher nicht den Tatsachen Rechnung trägt.

Du nimmst einen Realitätsverlust sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch in den linken Diskussionszirkeln wahr?

Ja. Ich will aber nicht verkennen, daß viele Leute Angst haben. Es gibt sicher weltweit einen Identitätsverlust, das, was Habermas die „neue Unübersichtlichkeit“ genannt hat. Die Dimensionen werden immer unüberschaubarer, die Distanzen immer kleiner und die Räume in den Städten immer undurchsichtiger und beschränkter für die Realisierung von Lebensentwürfen. Das müssen die Menschen weltweit verdauen. Da wird ein Gutteil der Schuld an der Verunsicherung den Ausländern in der Nachbarschaft in die Schuhe geschoben, die mit genau denselben Problemen konfrontiert sind. Identität läßt sich vermeintlich nur noch im eigenen Kleingarten oder vor dem Fernseher finden. Aber das nehmen doch weder der Russe noch andere Ausländer den Deutschen weg. Die Angst und die Abwehr vor dem Unbekannten macht sich am Nachbarn fest. Die Fremden sind der Auslöser, nicht die Ursache der eigenen Ängste. Sie sind einfach greifbar und stellen stellvertretend die Ordnung, die Lebensperspektiven in Frage.

Auch Grüne sind zur Beruhigung des deutschen Gemütes inzwischen für die Quotierung.

Du auch?

Ich bin unter bestimmten Gesichtspunkten dafür. Die Bundesregierung zum Beispiel tut, als wären wir kein Einwanderungsland. Andererseits braucht unser Land viele Arbeitskräfte, und die einheimische Bevölkerung geht zurück. Außerdem gibt es eine Wahnsinnsmisere auf der ganzen Erde. Niemand wird verhindern können, daß immer wieder Menschen zu uns fliehen. Die kann man gar nicht quotieren. Das Asylrecht könnte aber entlastet, das heißt, denen vorbehalten bleiben, die aus politischen Gründen, mit allen Implikationen, fliehen. Der Arbeitskräftemangel muß dadurch behoben werden, daß das Arbeitsverbot für Asylsuchende radikal abgeschafft wird und eine Quotierung von Zuwanderern stattfindet.

Ist das nicht Augenwischerei?

Nein. Die Bundesregierung belügt die Bevölkerung. Während sie öffentlich die Sündenbockfunktion der Asylanten ausnutzt, handelt sie nichtöffentlich ganz anders. Ich habe noch nirgendwo laut und deutlich gehört, daß die Regierung vorhat, den Anwerbestopp von 1972 im kommenden Januar zu lockern! Es gibt bereits Verträge mit Polen, Ungarn und Jugoslawien. Da sollen Saisonarbeitnehmer und Pflegepersonal angeworben werden. Im Gespräch sind auch die Tschechoslowakei und die Türkei. Das sagt aber niemand von denen laut und deutlich, daß sie selbst im großen Stil Ausländer herholen wollen, weil wir sie als Arbeitskräfte dringend brauchen. Ich finde den Inhalt dieser Rotationsverträge pervers, weil sie auf Zeit geschlossen werden und den Familienzuzug unmöglich machen. Interview: Heide Platen