: Eher Satire
■ Johannes Cernota spielt, zeigt und liest Werke von Eric Satie
Eric Satie gehört zu der Sorte von Komponisten, die eigentlich keine sind. Seine Versuche an der Akademie Komposition und Klavier zu studieren scheitern mehrfach. Zum Konzertpianisten zu untalentiert und vor allem zu faul, als Kontrapunktiker zu ungeschickt. Er bricht sein Studium ab und treibt sich rum — und wird trotzdem Musikgeschichte schreiben.
Eine seltsame Figur dieser Satie, selbst für das Paris des ausgehenden 19.Jahrhunderts, das nicht umsonst als die Hauptstadt der Dekadenz gilt. Er interessiert sich für das Leben der Heiligen und die Gedankenwelt der Gotik, was ihn aber nicht davon abhält, die Cabarets des Montmartre zu besuchen.
Er findet Zugang zu den Rosenkreuzern, die Gefallen an seinen rätselhaften und entrückten Klavierstücken finden (dazu gehören die »Gymnopédies«, die gerade jetzt wieder sehr populär sind. Das waren Apollonsfeste im alten Sparta, bei denen nackte Jünglinge als Tänzer auftraten). Sie machen ihn zum Hauskomponisten.
Tja, dann bekommt er die große Chance, eine Gespräch mit einem Operndirektor, aus dem allerdings nur die Herausforderung zu einem Duell resultiert. Denn zu den großen Talenten saties gehört ein ungewöhnlich trockener Humor und die Eigenschaft, das Skurrile und Groteske nicht nur zu denken, sondern auch auszusprechen. Satie und Satire liegen bisweilen erschreckend dicht beianander. Als sich dann doch einmal ein Stück als erfolgreich erweist, kauft er sich von den Einnahmen gleich zwölf identische graue Samtanzüge, eine sinnvolle Anschaffung, denn die nächsten fünfzehn Jahre wird er in Armut verbringen.
»Monsieur le Pauvre«, so nennt er sich nicht nur, das ist er auch, fünfzehn lange Jahre arbeitet er als Kaffeehauspianist, um magere Einkünfte zu haben, ein Bohémien, gottseidank wird er regelmäßig zu Tisch geladen bei Debussy, mit dem er Gedanken tauscht, da haben beide was von. Debussy kommt von Wagner los, den nämlich kann Satie auf den Tod nicht ausstehen, und instrumentiert zum Dank dafür zwei der »Gymnopédies« für großes Orchester, die sich in einem Konzert gespielt als große Erfolge erweisen. Der Name Satie kommt in Umlauf, Jean Cocteau stellt sich vor, umschwärmt ihn, schlägt ihm eine Balletthandlung vor, Satie komponiert »Parade«, Djaghilew läßt tanzen, Picasso entwift Kostüme und Bühnenbild, das Publikum veranstaltet einen Skandal, die Kritiker bezeichnen alle als »Schweine«, was üblich war und nicht verboten. Satie schreibt einem Kritiker eine Postkarte, möglicherweise eine beleidigende, jedenfalls wird er zu acht Tagen Gefängnis verurteilt.
Nun, wie man sieht, keine ganz bürgerliche Komponistenexistenz. Und keine ganz üblichen Werke. Und was machte nun das revolutionäre Andere dieser Musik aus? Nennen wir nur die Erfindung der »Musique d'Ameublement«, Musik, die unablässig im Hintergrund klingt, die »dieselbe Rolle erfüllt wie das Licht, die Wärme und der Komfort in jeder Form. Sie würde den Lärm der Messer und Gabeln minldern, ohen sie zu übertönen, ohne sich aufzudrängen. Sie würde das manchmal so drückende Schweigen zwischen den Gästen möblieren. Sie würde ihnen die üblichen Banalitäten ersparen. Das hieße, ein Bedürfnis befriedigen.«
Oder: »Vexations« (Quälerei), ein Pianostück, drei Zeilen kurz, das 840mal wiederholt werden muß. John Cage, auch ein Komponist, der eigentlich keiner ist, udn rückhaltloser Satiebekenner obendrein, hat es mit neun weiteren uraufgeführt: 18 Stunden und 40 Minuten, auch heute noch eine ganz passable Zeit.
Außerdem muß Satie als Erfinder des reduktionistischen Komponierens mit kurzen, unvariierten Elementen (das »Lego«-Prinzip quasi) und damit als Vorläufer der Minimal Music gelten. Noch etwas ist bis heute unikat geblieben, die »humoristischen« Klavierstücke, kleine Stücke, die eigentlich absurde Kurzgeschichten sind. Satie nämlich hat vielerlei kurze Texte zwischen die Notenzeilen geschrieben.
Und damit endlich kommen wir ans Ziel unserer Exkursion: Der Pianist »Johannes Cernota (keine Unbekannter; hat schon Platten gemacht) spielt, zeigt und liest Werke von Eric Satie« wird angekündigt. Zwar: »Ich verbiete, den Text während der Musikdarbietung laut vorzulesen. Jede Zuwiderhandlung würde meine gerechte Entrüstung über den Vermessenen nach sich ziehen. Es wird keinerlei Ausnahme gestattet.« Zu erwarten ist aber, daß genau dies geschieht. Zu erwarten ist aber auch, daß genau das gefallen wird. Frank Hilberg
Um 20 Uhr in der Passionskirche
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