piwik no script img

Lieber 'nen Bruch als auf der Straße

■ Unter Problemgruppen verschärft sich die Wohnungsnot / Wohnungshilfe fordert Kontingente und Zuschüsse

“Dieses Scheiß-Weihnachten...“ Tommy stöhnt. „Wenn ich bis dahin immer noch keine Wohnung hab, dann setz ich mir auch 'nen Goldenen Schuß.“ Tommy ist 35 Jahre alt und wohnungslos. In Berlin hat er auch schon in staatlich organisierten Wohncontainern, auch schon in einem selbst hergerichteten Bauwagen gelebt. Aber hier in Bremen findet sich für den Haftentlassenen keine Bleibe. „Dieses Weihnachten mit seiner Heuchelei und diesem ganzen Getue“, das gehe ihm gewaltig auf den Nerv. Aber es rufe halt auch die vielen Erinnerungen an die Kindheit wach. „Dann gehst Du an den hellen Fenstern vorbei, überall flackern Kerzen raus und Du kannst Dich noch nicht mal irgendwo aufwärmen.“ Er werde Heiligabend wohl wieder zu irgendeiner Institution gehen, wo etwas warmes zu Essen gibt, sagt Tommy, „und dann hockst du wieder in irgendeinem Hauseingang und knallst Dir halt einen rein, damit Du nix merkst.“

Tommy ist einer der „alleinstehenden Wohnungslosen“, der in der Personengruppe „mit besonderen sozialen Schwierigkeiten“ beim Amt für Sozaile Dienste noch erfaßt ist: Er bekommt alle 14 Tage seinen Sozialhilfe- Scheck. Etliche Obdachlose, besonders die Durchreisenden, fallen allerdings durch sämtliche Statistiken durch. Offizielle Schätzungen des Amtes gehen derzeit von 400 bis 600 Betroffenen in diesem Klientel aus.

Allein im Amt für Wohnungshilfe in der Langenstraße sprechen Tag für Tag 40-80 Asylbewerber vor, 30-40 Drogenabhängige, 20-30 Nichtseßhafte und rund 50 Durchreisende — fast immer vergebens. Auch das Papageienhaus (das Übergangswohnheim „Jakobushaus“ mit seiner Notaufnahme für Wohnungslose) muß täglich vier Leute abweisen. Es verhandelt deshalb gegenwärtig mit der Sozialbehörde über eine Erweiterung um 30 Betten.

Während die Wohnungshilfe der Sozialbehörde für diese Klientel bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften nach Unterkünften sucht, kümmert sich der „Verein Wohnungshilfe“ am Dobben um den sogenannten freien Wohnungsmarkt. „Wir hatten im November 278 Leute in unserer Kartei“, berichtet Geschäftsführerin Regina Brieske. Damit hat sich ihre akut in Wohnungsnot lebende Kundschaft (im Vergleich zum Vorjahr) fast verfünffacht — ganz abgesehen von denen, die erst gar nicht mehr nachfragen kommen.

70 Prozent dieser Gruppe sind Straffällige ohne Wohnung, beschreibt Brieske deren Zusammensetzung. 20 % sind Drogenabhängige, 7 % sind alleinstehende Wohnungslose, also Nichtseßhafte, wei sie das Jakobushaus aufnimmt und die restlichen 3 % sind Jugendliche.

„Früher haben wir rund 20 Prozent der Leute unterbringen können“, erklärt Regina Brieske von der Wohnungshilfe. Heute seien es gerade noch 5 bis 10 Prozent. Und dabei hätte das Amt für Soziale Dienste die Rahmenbedingungen soweit wie möglich begünstigt: Seit zwei Jahren würden sogar schon Deponate und Maklergebühren übernommen.

Trotzdem hat die Wohnungshilfe von insgesamt 100 Wohnmöglichkeiten derzeit nur ganze 30 abgeschlossene Wohnungen vermittel können. „Zwangsgemeinschaften, die früher nur eine Übergangslösung waren, sind heute die Regel“ berichtet der Verein. Seit Frühjahr vergangenen Jahres mietet er ganze Häuser an. Sie würden jedoch nie mit mehr als sechs Bewohnern auf drei Etagen belegt, so daß sich immer zwei Küche und Bad teilen müssen.

Von denjenigen, die trotz aller Suche leer ausgehen, übernachten 43 Prozent bei Verwandten oder Kumpeln, 27 % in den einschlägigen Pensionen, weitere 20 % in Thearpie-und Übergangseinrichtungen (Verein Hoppenbank, Jakobushaus) und die restlichen 10 % stehen wirklich auf der Straße. In letzter Zeit stellen Bewährungshelfer wie auch der Verein Wohnungshilfe zunehmend fest, daß ihre Kunden lieber „einen Bruch machen“ und in den Knast zurückgehen als weiter vergens hinter einer Bleibe herzuhecheln.

„Von der Bremischen kommen die Leute zu uns und erzählen, daß sie vor zwei Jahren nicht wiederzukommen brauchen“ so Regina Brieske. Sie ist seit drei Jahren beim Verein Wohnungshilfe. „Wenn du mich fragst, wie ich mich dabei fühle: beschissen. Ohnmächtig, zornig und hilflos.“ Von der Konzeption des Vereins sei nichts mehr übriggeblieben. Und die Konsequenz? „Wir brauchen Kontingente im öffentlichen Wohnungsbau, weil unsere Kundschaft darin nicht vorkommt.“ Auch staatliche Zuschüsse, um Wohnungen kaufen zu können, könnten helfen.

Aus Behördenkreisen wird unterdessen immer wieder beteuert: Man habe gegenwärtig ja schon 9.000 Menschen, besonders Asylbewerber und Aussiedler, untergebracht. Für 39 von ihnen wurde am Hastedter Osterdeich im August eine Containersiedlung errichtet — auf dem Gelände der Stadtwerke, zwischen Kraftwerk, Kaffeerösterei und Baumarkt. In zwei „Etagen“ haben die Bewohner dort Küche mit Waschmaschine und Duschraum. Die Männer aus der Türkei, Syrien und Afrika fühlen sich wohl. Sie haben nur ein bißchen Angst vor dem strengen Winter — denn die resopalbeschichteten Container-Wände sind nicht besonders kälteisoliert. „Aber es ist immer noch besser als in Afrika“ sagt einer der jungen Männer und setzt sich wieder vor seine Musikanlage.

Sechs Einfamilienhäuser, die das Land Bremen wegen irgendwelcher Planungsmaßnahmen gekauft hat, stehen darüber hinaus noch immer leer. Nur eines davon ist mit angemessenem Aufwand nicht wieder bewohnbar zu machen und zum Abbruch vorgesehen, hatte der Senat der CDU auf Anfrage mitgeteilt. Doch mittlerweile soll es schon Überlegungen geben, die Häuser vorübergehend als Notunterkünfte herzurichten. Konkretes konnte jedoch niemand sagen. Birgitt Rambalski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen