: Briefe widerlegen Bonner Dementi
■ Die Bundesregierung zieht es vor, ihre Verhandlungsangebote an die Kommandoebene der RAF öffentlich zu dementieren/ Die überbrachten Botschaften belegen das Gegenteil
Berlin (taz) — Die Bundesregierung zieht es vor, ihre Bemühungen um einen Kontakt zu den Aktivisten der Rote Armee Fraktion (RAF) zu dementieren. Der Staatssekretär im Bonner Innenministerium, Hans Neusel, der maßgeblich an den Gesprächsversuchen beteiligt war, wollte ursprünglich zum gestrigen Bericht der taz keinerlei Erklärung abgeben.
Eine Bewertung wolle der Staatssekretär, dem der taz-Bericht bereits vor der Veröffentlichung vorlag, weder heute noch morgen abgeben, erklärte sein persönlicher Referent am Mittwoch auf Anfrage. Stunden später, nach intensiven Beratungen im Innenressort, veröffentlichte dann am späten Nachmittag die Pressestelle des Ministeriums ein Dementi.
Die Behauptungen der taz, heißt es in der elfzeiligen Mitteilung, „zeugen von einer blühenden Phantasie“. Neben dem „Aussteigerprogramm“ des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz gebe es „keine weiteren oder neuen Initiativen, mit Mitgliedern der RAF in Kontakt zu kommen“. Weder habe das Bundeskabinett im April 1989 eine solche Initiative gebilligt noch hätten sich die Bonner Staatssekretäre Hans Neusel und Carl-Dieter Spranger „aktiv eingeschaltet“ oder gar eigene Initiativen verfolgt.
Daß den amtlichen Kontaktversuchen ein Kabinettsbeschluß zugrunde liegt, versicherten aber mehrere Beteiligte gegenüber der taz ausdrücklich. Und Staatssekretär Neusel war entgegen dem Dementi tatsächlich in die Bemühungen um einen Kontakt zur Kommandoebene der RAF nicht nur eingeweiht, sondern auch aktiv tätig. Das belegen die Briefe, die die Bonner Kuriere im Auftrag der Regierung im Nahen Osten über palästinensische Gruppen den RAF-Aktiven zukommen ließen.
In dem in englischer Sprache verfaßten Schreiben vom 24. Oktober heißt es: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist bereit, über die Person von Herrn Benz Gespräche in jedem Land und unter jeglichen Bedingungen zu führen.“ Bei dem genannten „Herrn Benz“ handelt es sich um einen Beamten des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz — seit seiner Nennung als zuständiger Beamter für das „Aussteigerprogramm“ im Jahre 1987 allen Beteiligten gut bekannt.
In dem Schreiben an die Kommandoebene ist ebenso die Botschaft enthalten, daß die RAF-Gefangenen in den bundesdeutschen Haftanstalten von der Verhandlungsbereitschaft der Regierung unterrichtet waren. Die „Klienten“ eines deutschen Anwaltes, wird den RAF-Aktiven mitgeteilt, verlangten eine Bestätigung der politischen Rückendeckung für „Herrn Benz“. Der Begriff „Klienten“ ist eine Umschreibung der RAF-Gefangenen, die vom genannten Anwalt vertreten werden. Zugesichert wurde weiter, daß Staatssekretär Neusel „deshalb in naher Zukunft“ Gespräche mit dem Anwalt und seinen Kollegen führen werde.
Die Verhandlungsbereitschaft wurde im Jahr darauf — nach dem tödlichen Anschlag auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und dem Attentatsversuch auf Staatssekretär Neusel — in einem Brief vom 22. August 1990 erneuert. Der Kurier im Auftrag der Regierung überbrachte diesmal die Botschaft, die RAF-Gefangenen könnten sich nicht vorstellen, daß der Kontakt zu den RAF-Aktiven bereits hergestellt sei. Um das gegenseitige Mißtrauen abzubauen, erging die Bitte, „mir ein Zeichen, ein Wort oder ein anderes Identifikationsmittel zukommen zu lassen“, das den „Klienten“, sprich: den Gefangenen, „vorgelegt werden kann“ .
Wenn das Innenministerium nun betont, daß es neben dem „Aussteigerprogramm“ keine weiteren Initiativen gebe, ist die Rückzugslinie brüchig. Der Versuch, über Kuriere ein Verhandlungsangebot an die Aktiven der RAF zu übermitteln, wurde schließlich über die Ausweitung des Ausstiegsangebotes organisiert. Ursprünglich war das Programm Anfang der achtziger Jahre im Kölner Bundesamt konzipiert worden, um an aussteigewillige Mitglieder der „Revolutionären Zellen“ herantreten zu können. 1987 wurde das Programm auf absprungbereite RAF- Mitglieder ausgeweitet. Im letzten Hungerstreik der RAF-Gefangenen im Frühjahr 1989 sollte es schließlich den Weg für ein Stillhalteabkommen mit der Kommandoebene der RAF eröffnen, bis dann die zuständigen Mitarbeiter des Bundesamtes die politische Rückendeckung für die Verhandlungsversuche mit den im Nahen Osten vermuteten RAF-Aktivisten erhielten. Wolfgang Gast/
Gerd Rosenkranz
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