Treuhand-Kapitalismus in Erfurt

Thüringische Zweigstelle der Treuhand versteigerte in Erfurt HO- und Konsumläden/ Ostler raus — Westler rein  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Erfurt (taz) — Weil die Fraktion der Grünen und ihrer Bündnispartner im Landtag von Thüringen sich nur mit „Stasi, Stasi und nochmal Stasi“ beschäftigt (Thomas Winkler/Grüne), haben die frischgebackenen Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht wahrgenommen, was sich am vergangenen Freitag in der Erfurter Bahnhofstraße abspielte: Vor einer Tür mit der auf einem Pappschild gemalten Inschrift „Treuhand Berlin — Zweigstelle Thüringen“ stauten sich am Vormittag die Westdeutschen, die eine Woche zuvor ihr Übernahmeangebot für einen der zahlreichen HO- und Konsumläden in der Stadt in einem verschlossenen Umschlag eingereicht hatten.

Bescherung für die Bundies

Am Freitag war „Bescherung für die Bundies“, wie eine enttäuschte HO- Filialleiterin anmerkte, die mit ihren finanziellen Möglichkeiten gegen die „Bundies“ keine Chance hatte: „Zehn Jahre lang hab' ich hier Lebensmittel verkauft. Und jetzt kommt wahrscheinlich einer aus dem Westen, macht eine Boutique auf, und setzt mich auf die Straße.“

Böses Blut bei den Bürgern Erfurts

Als die Treuhand am 30. September öffentlich erklärte, daß die ehemals staatlichen HO- und Konsumläden im Zuge der Privatisierung versteigert würden, protestierten noch hunderte von Erfurter Bürgerinnen und Bürgern vor der Treuhand und vor dem Rathaus gegen diesen „Willkürakt der Treuhand“, wie auf einem Transparent der Belegschaft eines Fischladens zu lesen war. Gerne hätten die teilweise seit Jahren und Jahrzehnten in den HO- und Konsumläden beschäftigten Menschen nämlich „ihre“ Geschäfte in eigener Regie übernommen.

Wer hat das Nachsehen?

Daß sich die Treuhand dann dafür entschieden hat, die Ladengeschäfte und Tante-Emma-Lädchen im Rahmen einer verdeckten Ausschreibung an die meistbietenden Interessenten zu verscherbeln, hat in Erfurt tagelang für böses Blut gesorgt, denn daß die reichen „Bundies“ die armen Ostler überbieten würden, war den Protestierenden schon vorletzte Woche klar: „Wenn die Treuhand die Umschläge öffnet, werden wir in den Mond gucken.“

Ob denn die Ostler am vergangenen Freitag bei der Öffnung der verschlossen eingereichten Gebote tatsächlich leer ausgingen, war von der Sprecherin der Treuhand nicht zu erfahren — „aus datenschutzrechtlichen Gründen“.

In die Schlange zu den Treuhandräumen im ersten Stock des tristen Hauses in der Bahnhofstraße hatten sich allerdings fast ausschließlich Westler eingereiht. Die ostdeutschen Interessenten hatten resigniert.

Proteste gab es am Freitag keine mehr — nur enttäuschte Gesichter von wenigen HO-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hofften, ihre neuen Chefs gleich an Ort und Stelle kennenzulernen. In ihrem Hauptquartier am Erfurter Anger schütteten sich Mitglieder der Grünen Asche aufs Haupt.

„Vielleicht sollten wir uns mehr um die Zukunfts- und Gegenwartsfragen kümmern, als um die Vergangenheit“, sinnierte Thomas Winkler. Schließlich hätten die Menschen, die um die Zukunft betrogen würden, darauf ein Anrecht. Im Thüringer Landtag war die Aktion der Treuhand keiner Partei auch nur eine Presseerklärung wert.