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Die Polizei spielt die Rolle der Polizei

■ Eine Hausbesetzungskunstaktion in Friedrichshain

HdK-StudentInnen hatten Samstag morgen in das Friedrichshainer Kulturzentrum »Kiezkultur« eingeladen, um ihre Erfahrungen mit der Mainzer-Straße-Räumung und Wohnungsnot in Kunst zu fassen. Die Kunst gab's jedoch nicht hier, sondern ein paar Häuser weiter: Eine Hausbesetzung wurde simuliert oder fand wirklich statt.

In der freundlichen »Botschaft« oder in der sympathischen Samariterstraße, in vielen besetzten Häusern stellt man sich eine Art Mainzer Paradies vor und denkt an eine Stadt, in der an allen Ecken und Enden Mainzer Straße ist. Zumindest für den nachts umherschweifenden Mainzer wäre das etwas ganz Großartiges, denn er/sie wäre immer gleich und schnell zu Haus. Wie die Mainzer-Straße-Schilder entschlossen mahnendes Zeichen der GenossInnen sind; ein freundlicher Gruß, der nicht mehr oder weniger als die Herzen anwärmen kann und einen sonst — in der wirklichen Schlesischen oder eben der Thaerstraße — frierend stehen läßt, so ist auch die Besetzung, Samstag morgen in der Thaerstraße am U-Bahnhof Frankfurter Tor, nur Kunst, nicht wirklich, sondern Simulation oder, wie die Scheinbesetzer vom Balkon aus nicht müde werden durchs Megaphon zu versichern: »Die Personen, die Sie hier sehen, kommen aus einem Film... Die Polizei spielt die Rolle der Polizei, und Sie spielen die Rolle des Ausstellungsbesuchers bzw. der Ausstellungsbesucherin. Das Haus spielt die Rolle des zu besetzenden Hauses... Die Presse spielt die Rolle der Presse, die Besetzer spielen die Rolle der Besetzer. ...Genießen Sie das Abenteuer einer Neubesetzung. Eines der letzten Abenteuer unserer Gesellschaft. Treten Sie ein.«

Um halb elf hatte man sich in der Eldenaer Straße getroffen. Kunst war angekündigt zum »Eindruck der Staatsgewalt auf die Netzhaut«. Den OrganisatorInnen, StudentInnen der HdK, die sich vor einigen Wochen die Mainzer Straße für 10.000 DM hatten kaufen wollen, inszenierten jedoch nicht mit Häppchen, Sekt und blödem Geschwätz die übliche Vernissage-Arschlochparty, sondern führten etwa 50 interessierte BesucherInnen vorbei am »Dixi-Hundesalon« im Gänsemarsch zur Thaerstraße. Und blieben vor einem Haus stehen, während die zugemauerte Tür von innen mit einem Preßlufthammer geöffnet wurde, ein Transparent vom Dach herunterrollte — »1. Mainzer Kunstausstellung« —, Videokameras surrten. Gegenüberliegende AnwohnerInnnen riefen zunächst die Polizei an, um es sich dann mit Kissen auf der Fensterbank bequem zu machen.

Echte »Wannen« kamen schon bald; echte »Bullen« stürzten herbei und schubsten und rangelten und rüpelten, um das Haus zu penetrieren, obgleich ihnen doch das Schubsen, Rangeln und Rüpeln, wie sie sagen, gar keinen rechten Spaß machte, zumal sie sich vom Balkon immer wieder sagen lassen mußten, daß es sich bei ihnen gar nicht um echte »Bullen« handele, sondern nur um solche, die die Rolle der Ordnungshüter zu spielen hatten — wer hört das schon gerne. Alte Bekannte vergangener Inszenierungen herrschender Gewalt begrüßten sich: »Komm du bloß her...« Einige Uniformträger wußten modebewußt mit schwarzglänzenden Löckchen zu imponieren, andere signalisierten ihren Protest mit Glatzen, andere lasen mehr oder weniger interessiert in den Flugblättern und wollten nicht daran glauben, daß es sich bei der Besetzung um Kunst handele, und dachten wie gewöhnlich immer nur: »Räumen«. (Und danach »Schweinebraten« und danach »Fernsehen«) »Kein Recht«, »illegal«, »Gesetzesbruch« so ging stereotyp ihre Rede. »Haben Sie denn das Flugblatt gelesen?« — »Ich hab's gelesen. Das ist aber eine Täuschung!!«

Die Rollen der guten und der bösen Cops waren glänzend besetzt. Hier die schwerbewehrten »Polterer«, da zwei Einsatzleitungsherren mit angegrauten Haaren, die sich durchs Haus führen ließen und aufmerksam den kunst-erklärenden Worten eines künstlichen Besetzers lauschten (das ist ein Pflasterstein, angemalt, blau, rot; ein Symbol von diesem und jenem und der Vergänglichkeit politischer Gewalt), um am Ende ihres Rundgangs im trauten Gespräch schmunzelnd zu erklären, daß sie sich für die Ausstellenden einsetzen würden. Nur sollten die doch bitte darauf achten, daß keine Penner sich hier einschleichen würden.

Ein leerstehendes Haus, das noch unter »Honni« weggesprengt werden sollte, wird zur Kunst — also gucken, nicht benutzen —, wenn man kleine Veränderungen vornimmt. Einige Veränderungen sind schon da: die Spuren von Bautrupps, die z.B. ein paar Kachelöfen zertrümmerten, damit auch ja keiner auf die Idee kommt, das Haus zu gebrauchen; anderes wird hinzugefügt: manchmal nur ein paar Räucherkerzen, manchmal eine Schlange von Briefkästen auf der Treppe, Erinnerungsräume mit Mainzer Fotos — »Guck mal, das bin ja ich«, Objekte, Farben, Labyrinthe, Plastikplanen oder Kunst, deren Sinn es ist, auf den Raum aufmerksam zu machen, und die ihren Sinn bestens erfüllt hat, wenn die BetrachterInnen kapieren, daß es eben nicht selbstverständlich ist, in einem Isolationswohnklo zu wohnen.

Unterstützt von Volksbühnen- Hermann-Treusch, Bärbel Bohley und anderen fordern die HdK-StudentInnen »das Fördern selbstbestimmten Lebens und Arbeitens«, sie »fördern das Fordern«, wollen in jedem Fall weiter ausstellen und werden vielleicht sogar belohnt werden: Nachdem die KWV hurtig einen Räumungsantrag gestellt hatte, Bärbel Bohley herbeigeeilt kam, um zu verhandeln, nachdem die BesetzerInnen oder KünstlerInnen ihre Sachen noch rausholen konnten und gegen 17 Uhr »fröhlich und lachend« (Marion Quaas von den Besetzern) das Haus verließen, wurde ihnen vom Justitiar der KWV ein Ersatzhaus zumindest zeitweise in Aussicht gestellt. Detlev Kuhlbrodt

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