: Der Gewalttäter muß aus dem Haus
In Chile haben Frauengruppen eine Kampagne gegen das Tabuthema Gewalt in der Familie gestartet/ SozialistInnen bringen Gesetzentwurf ein ■ Von Christine Olderdissen
„Alle reden von der Frau, aber nichts ändert sich“, sagt Jana Valdez, Mitarbeiterin im Frauenaktionszentrum „Instituto de la Mujer“ in Santiago. Vor einem Jahr ist Chile zur Demokratie zurückgekehrt, doch die miserable rechtliche Situation der Frauen hat sich immer noch nicht gebessert. Dabei hatte das Bündnis „Konzertierte Aktion der Frauen für Demokratie“ schon vor der Wahl des christdemokratischen Staatspräsidenten Patricio Aylwin und seiner Rechts-Links-Koalition am 14. Dezember 1989 einen langen Wunschzettel vorgelegt, darunter auch Vorstellungen zum Abbau der rechtlichen Diskriminierung. Nun sind die Frauen selbst mit zwei konkreten Forderungen an die Öffentlichkeit getreten: Sie wollen ein Gesetz gegen Gewalt in der Familie und ein Scheidungsgesetz.
Die Familie galt unter der Pinochet-Diktatur als beinahe heilige Institution und tabu. Kein Wunder also, daß es noch keine zuverlässigen Zahlen zu den familiären Gewaltverhältnissen gibt. Doch aus einer Umfrage, die 1987 und 1988 in Armensiedlungen des Landes durchgeführt wurde, geht hervor, daß 80 Prozent der befragten Frauen häufiger geschlagen werden, die meisten von ihrem Ehemann oder Lebensgefährten.
Der gewalttätige Mann muß aus dem Haus raus, die mißhandelte Frau und die Kinder bleiben drin — das ist die Grundidee des „Gesetzes gegen häusliche Gewalt“, das feministische Rechtsanwältinnen nun erarbeitet haben. Danach kann dem Mann untersagt werden, die Wohnung der Familie zu betreten. Außerdem wird ihm verboten, an dem Arbeits- oder Ausbildungsort seiner Frau aufzukreuzen. Das Gericht kann ihm außerdem eine Geldstrafe zugunsten der Frau auferlegen, ihn zur Teilnahme an erzieherischen oder therapeutischen Maßnahmen verpflichten.
Im September stellten die sozialistischen Abgeordneten Adriana Munoz und Sergio Aguiló den Entwurf dem Parlament vor. Im kommenden Mai will der Kongreß darüber beraten. Einen solchen Gesetzesvorschlag von einem Mann einbringen zu lassen, davon erhoffen sich die Frauen größere Durchsetzbarkeit.
Bis zur Parlamentsdebatte im Mai soll eine landesweite Kampagne über die Gewaltverhältnisse aufklären. Seit der ersten Konferenz zur häuslichen Gewalt im vergangenen Mai haben sich rund vierzig politisch sehr verschiedene Frauengruppen zusammengeschlossen. Zum „Internationalen Tag der Gewalt gegen Frauen“ am 25. November warben sie mit Plakaten, Flugblättern und einer Unterschriftensammlung für das Gesetz. Und auch am „Tag der Menschenrechte“ am 10. Dezember beteiligten sich die Frauen mit eigenen öffentlichen Aktionen.
Unterdessen aber melden sich die ersten kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen. Die Rechtsanwältin Nelly Gonzales, die für das Frauenrechtshilfebüro „Oficina Legal de la Mujer“ geschlagene und vergewaltigte Frauen bei Gericht vertritt, ist zwar grundsätzlich für ein Gesetz gegen häusliche Gewalt. Aber an seine Durchsetzung mag sie nicht glauben: „Jeder Jurist wird sofort sagen, daß es gegen die Verfassung verstößt, wenn der Mann aus dem Haus geworfen werden soll, das ihm gehört.“
Julia Paulina Correa, Anwältin der staatlichen Frauenbehörde „Servicio Nacional de la Mujer“ (SERNAM), hält den Entwurf aus anderen Gründen für illusorisch. „Die Frauen wollen doch nicht den Ernährer verlieren.“ Gerade das aber hat der Gesetzentwurf bedacht. Das Gericht soll nicht nur festlegen, wie lange der Mann die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten darf, sondern auch, wieviel Unterhalt er an Frau und Kinder zahlen muß.
Doch bei SERNAM brütet eine Arbeitsgruppe über einem Gegenentwurf. Damit wird die Behörde sich in der chilenischen Frauenbewegung keine neuen Freundinnen schaffen, denn die hält sowieso schon kritische Distanz. Anstelle der von der „Konzertierten Aktion der Frauen“ geforderten, starken und unabhängigen Frauenbüro, wurde mit SERNAM eine Behörde eingerichtet, die, ähnlich den Frauenbeauftragten hierzulande, kompetenzlos, mit geringen Geldmitteln ausgestattet und direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist.
Im Alternativentwurf von SERNAMist die Einrichtung von Familiengerichten nach japanischem Muster vorgesehen, die zunächst bei den zerrütteten Paaren und Familien einen Versöhnungsversuch starten sollen. Scheitert er, soll erst in zweiter Instanz über die Trennung entschieden werden.
Chile ist, neben Paraguay, das einzige Land Lateinamerikas, das kein Scheidungsrecht hat. Es gibt allerdings die „Scheidung auf chilenisch“, ein Gesetzeskonstrukt, mit dessen Hilfe jährlich rund 12.000 Ehen annulliert werden. Das trennungswillige Paar braucht dazu einen Rechtsbeistand und ein paar FreundInnen, die eine Lüge nicht scheuen. Bei Gericht müssen sie bezeugen, daß das falsche Standesamt die Trauung vorgenommen hat, weil die Ehegatten angeblich in einem anderen Bezirk wohnten. Die Ehe wird daraufhin für null und nichtig erklärt. Die Unterhaltsverpflichtungen gelten dann nur für die gemeinsamen Kinder.
„Mit dieser Farce, dieser staatlich inszenierten Heuchelei muß endlich Schluß sein“, fordert Laura Rodriguez. Im Alleingang will die Abgeordnete der grün-humanistischen Allianz ein Scheidungsgesetz im Parlament durchbringen. Doch als sie ihr Projekt der Öffentlichkeit vorstellte, ging ein Aufschrei durch Presse und konservative Parteien. Da wurde behauptet, die Scheidung würde dem Ehebruch und der freien Liebe Vorschub leisten, der Untergang der Familie sei unausweichlich. Und Präsident Aylwin winkte bereits ab: „Scheidungsgesetz? Nicht während meiner Amtszeit!“
Laura Rodriguez, die immer klarstellt: „Ich bin Humanistin und nicht Feministin“, sucht jetzt die Unterstützung der Frauenbewegung. Eine Arbeitsgruppe feministischer Juristinnen soll das Gesetz entwerfen. Doch in den Frauenprojekten in Santiago ist nicht gerade große Begeisterung ausgebrochen. Denn ein Scheidungsgesetz wäre nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Seit mehr als hundert Jahren besteht eine feudale Rechtsordnung, die dem Mann die Vormundschaft über Frau und Kinder und die Entscheidung über das eheliche Eigentum sichert.
In der chilenischen Frauenbewegung gibt es wenig Hoffnung, daran in nächster Zukunft etwas zu verändern. Zwar brachten die Frauen die Bewegung gegen Pinochet auf die Beine und standen in den sozialen Kämpfen immer vorn. Nun aber sitzen unter den 168 Abgeordneten des demokratisch gewählten Parlaments nur zehn Frauen. „Den Umgang mit der Macht haben wir nicht gelernt“, sagt Jana Valdez vom Instituto de la Mujer enttäuscht. „Und wir haben auch nicht gelernt, für unsere eigenen Rechte zu kämpfen.“
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