piwik no script img

Die Wildnis im Garten

Eine Ausstellung der Hoosier-Maler aus Indiana in Köln  ■ Von Martina Kirfel

Der Besucher der Ausstellung Zwischen Tradition und Moderne — Amerikanische Malerei der Jahre 1880-1905 im Kölner Wallraf-Richartz-Museum traut seinen Augen kaum. Einen Moment lang wähnt er sich im Salon des königlich bayerischen Kunstvereins, in der Tat: Die hier gezeigten Amerikaner, die Hoosier-Group aus Indiana, haben samt und sonders in München gelernt. Daher stammen die Motive ihrer Frühwerke aus der Umgebung von München, meist aus Schleißheim oder dem Dachauer Moor.

Die Ausstellung zeigt in mehreren Sälen insgesamt 116 Früh- und Hauptwerke der Hoosier-Group. Hoosier ist ein Spitzname für die Bewohner des Staates Indiana. Zum Kern der Gruppe gehörten William Forsyth (1826-1910), John Ottis Adams (1851-1927) und Theodore Clement Steele (1847-1926). Später stießen Otto Stark und Richard Gruelle hinzu. Ein fünftes Mitglied, Samuel Richards, blieb in München und kehrte erst kurz vor seinem Tod nach Indiana zurück. Sie alle kamen aus ländlichen Gebieten.

Die ersten „Kunstwerke“, die sie als Jugendliche erblickten, stammten von der Hand der Wandermaler, die im mittleren Westen umherzogen, sich einer stümperhaften Porträtkunst befleißigten, aber auch zu Anstreicharbeiten herangezogen wurden. Forsyth erinnerte sich, daß einem in diesen abgelegenen Gebieten jeder, der nur „irgendwie ein Bild zustande brachte, wie ein Genie vorkam“. Steele und Adams jedenfalls waren in ihrer Jugend von solchen Wandermalern in deren Handwerk eingeweiht worden. Seither beherrschte sie der Gedanke, die Malkunst zu erlernen.

Dies erwies sich jedoch schwierig in einem Land, das noch 50 Jahre vor der Geburt dieser jungen Männer eine völlige Wildnis gewesen war. Die Großväter der Hoosiers waren die ersten Siedler (um 1820), Steele kam noch in einer Blockhütte zur Welt. Die Städte Indianas standen am Beginn ihrer industriellen Entwicklung, der Wohlstand war noch nicht groß genug, um Künstlern ausreichend Aufträge zu verschaffen. Akademien gab es sowieso nicht. Die 1877 gegründete Indiana School of Art machte bereits zwei Jahre später wieder pleite. Auch Chicago bot keine befriedigende Ausbildungsmöglichkeit. Deshalb stand den jungen Künstlern der Sinn nach Europa. Daß dies kein bloßer Wunschtraum war, hatte 1870 erstmals eine größere Gruppe Amerikaner bewiesen, die nach Paris und München aufgebrochen waren, um dort Malerei zu studieren. Das ermutigte die Hoosiers. 1880 packten Forsyth, Richards, Adams und Steele mit Frau und Kind ihre Siebensachen und fuhren per Schiff nach Europa, nachdem sie das für ihre Ausbildung nötige Geld mühsam bei heimischen Förderern aufgebracht hatten. Ihre Schulden sollten in Form von Kopien „alter Meister“ beglichen werden. Ihr Ziel war Deutschland, das „Land der Kunst und Mekka unserer Träume“, wie Libbie Steele, die Frau des Künstlers, es formulierte.

Die Wahl war auf München gefallen, weil es billiger war als Paris und weil der Zugang zur Königlichen Akademie keinen Beschränkungen unterlag. Nicht zuletzt glaubten sie sich — als Maler — dem verpflichtet, was sie in der Ferne als „Münchner Realismus“ kennengelernt hatten. In München befleißigten sie sich in den Jahren ihrer Lehrzeit eines Realismus bayerischer Variante. Ihr großes Vorbild war Wilhelm Leibl, doch bewunderten sie auch die Maler von Barbizon (Millet, Corot). In dieser Zeit entstanden Porträts bayerischer Kleinbauern und Landmädl, dörfliche Szenen, traute Innenräume, aber auch viele Landschaften.

Wenn Forsyth einen vollbesetzten Biergarten malte, so rückte er die große Menschengruppe tief in den Mittelgrund, die pro forma in den Vordergrund gesetzten schäkernden Paare vernachlässigte er grob. Ihn interessierte nicht die Psychologie des Individuums, sondern der Garten, die wuchernden Pflanzen, der Übergang von Kultur in Natur. Wenn Steele die Straße von Schleißheim malte, so ging es ihm nicht um die drolligen Szenen am Wegesrand, sondern um die grundlose Schwärze der herbstlichen Allee.

So unterliefen die Hoosiers mit Ausnahme von Adams, der erst in Indiana vom traditionellen europäischen Muster abweichen sollte, auf sanfte, fast unbemerkte Weise bereits in ihrer Lehrzeit die akademische Tradition. Sie verweigerten das Idyll, das Pathos und das Genre. So sehr Adams zunächst noch Millet nachzueifern versuchte, seine Erntearbeiter blieben Erntearbeiter, während Millet den Landmann in stiller Größe zum Menschen schlechthin verklärte.

In Schleißheim, wo sie sich aus Geldnöten niederließen, entwickelten sie sich zu Landschaftsmalern, denen es darauf ankam, in der Natur zu malen und das zu malen, was sie sahen.

Inspiriert und angefeuert wurden sie von einem eigenwilligen Landsmann, Frank Currier, der ihnen auf eigene Faust Unterricht in Landschaftsmalerei erteilte. Seine unkonventionellen wilden Aquarelle, wie etwa sein Sonnenuntergang erinnern an Emil Nolde, seine grob gespachtelten Ölbilder an die frühen Expressionisten (Kat. 18). Den Münchnern galt Currier als Exzentriker. „Sein Werk war so außergewöhnlich, es besaß eine solche Kraft, eilte den allgemeinen künstlerischen Auffassungen jener Zeit so weit voraus, daß es ganz natürlich war, wenn ihn nur wenige verstanden und ihm folgten“, bemerkte ein Zeitgenosse. Wären die Hoosiers Currier gefolgt, sie wären Expressionisten geworden. Sie wurden statt dessen so etwas ähnliches wie Impressionisten, auch wenn sie dem Unterricht Curriers viel verdankten.

Zwischen 1885 und 1890 kehrten Steele, Adams und Forsyth nach Idiana zurück — alle mit dem Vorsatz, eine eigenständige „amerikanische“ Landschaftsmalerei zu begründen. Auf einer internationalen Ausstellung im Münchner Glaspalast hatten sie gesehen, daß Niederländer und Skandinavier eine eigene Art des Landschaftsmalens hervorgebracht hatten — warum sollte es ihnen nicht gelingen? So verschrieben sie sich einer Disziplin, für die es in Indiana noch so gut wie keinen Markt gab. Um sich über Wasser zu halten, mußten sie Porträts malen. Nur wenige Wochen im Sommer konnte sich die Gruppe in den ersten Jahren nach der Rückkehr aus München zusammenfinden und Plein-Air-Malerei betreiben.

Doch die Hoosiers verfolgten konsequent ihr Ziel. Im Laufe der Jahre entstand etwas ganz eigenes, für europäische Augen ungewöhnliches: eine quasi impressionistische Malerei der verschwindenden Wildnis, der letzten Reste der Urwälder, der letzten unberührten Flußläufe, der untergehenden früheren Siedlerkultur. Schon damals wuchs auch in Indiana die Verstädterung, die Industrialisierung schritt voran, Kanäle und Eisenbahnschienen durchzogen das Land. Die Hoosiers zogen sich in die hintersten Bastionen der Ländlichkeit zurück und malten die Abgelegenheit. Nicht immer gelang es ihnen, das typisch „Amerikanische“ in ihren Bildern zu kondensieren. So hängen in der Ausstellung auch zahlreiche traditionelle Landschaften, farblich nicht immer gelungen, doch sollte das den Betrachter nicht abschrecken, seinen Blick für die Eigenart Indianas zu schärfen.

Viele Bilder ähneln denen der französischen Impressionisten, obwohl die Hoosiers bis zur Weltausstellung von Chicago im Jahre 1893 niemals ihre französischen Kollegen zu Gesicht bekommen hatten. Zu ihrem höchsten Erstaunen waren sie selbst anläßlich dieser Ausstellung als „amerikanische Impressionisten“ bezeichnet worden. der Begriff trifft allerdings nur halb: Wie den französischen Impressionisten ging es den Hoosiers um eine radikale Plein-Air-Malerei und um die Wiedergabe der Natur in den wechselnden Stimmungen der Tages- und Jahreszeiten. Allerdings gingen sie niemals soweit, Gegenstände und Landschaften zugunsten irrisierender Lichtreflexe vollständig aufzulösen, waren sie niemals so revolutionär, eine quasi analytische Lichtmalerei zu betreiben wie etwa Monet, der den Impressionismus bis an die Grenze zur Abstraktion trieb.

Dennoch entstand eine „amerikanische“ Landschaftsmalerei. Eine wiederkehrende Konstante in den Bildern der Hoosiers ist das warme, rote Herbstlicht Indianas, das zwischen kräftigem Rot, Braun und Violett changiert. Frühjahr und Winter erscheinen oft in weißlichen Tönen. Die hellen Bilder erinnern an skandinavische Landschaften. Doch ist nicht nur das Licht anders als in Europa. Der Mensch und seine Behausung nehmen eine zurückgenommenere Stellung in den Bildern der Hoosiers ein als in der vergleichbaren europäischen Malerei. Die Natur dominiert. Da stehen einsame Gestalten an einem Waldbach ohne Steg und Weg vor einem undurchdringlichen Dickicht. Das ist keine lauschige Waldeslust, sondern Wildnis ohne Spuren menschlicher Eingriffe, aber auch ohne Überhöhung zur „erhabenen Natur“, wie es etwa die Romantiker noch aufgefaßt hätten. Mit den Buchen von Vernon liefert Steele ein letztes Dokument des Urwalds von Indiana. Majestätische Baumriesen dominieren als gewaltige Vertikalen diese Komposition.

Die weite Hügellandschaft von Indiana wirkt „größer“ als europäische Landschaften. Häusergruppen, kleine Dörfer, Tiere oder Menschen sind meist weit vom Betrachter weg in den Mittelgrund gerückt. Zusätzlich wird dann oft noch ein weitläufiger Hügelzug als Hintergrund gegeben. Deshalb wirken die Dörfer nicht wie heimelige Zentren, sondern wie ausgesetzte Bastionen der Zivilisation in einer noch nicht domestizierten Weite. Quer durch das Tal von Adams zeigt eine bewegte, fast vibrierende Hügellandschaft von oben. Tal, Baumreihen und Hügel streben sogartig in die Ferne, die Häuser eines Dorfes blitzen hier und dort nur zwischen der Vegetation auf.

Die Hoosiers sind die Maler des amerikanischen Traums von Ursprünglichkeit. Zur amerikanischen Ursprünglichkeit gehört die Wildnis, aber auch die traditionelle, oft stilvolle Lebensform der ersten zu Wohlstand gelangten Siedlergenerationen. Im Sommer 1897 malte Forsyth auf der Cedar-Farm am Ohio, einem vierstöckigen Haus mit Säulenveranda und zahlreichen Gästezimmern, das einer großen Familie aus Kentucky gehörte. Schon damals stand die Cedar-Farm für eine verlorene Zeit. Vor einem leuchtend violetten Hügelzug malte Forsyth den verdorrten herbstlichen Garten in zartem Gelb, Mauve und Grün. Die zerrupften Strünke der altmodischen Gemüsebeete haben ihre Ordnung aufgegeben. Die Wildnis, die sowieso gleich hinter dem weißen Staketenzaun beginnt, überwuchert den Garten.

Schade nur, daß das Wallraf-Richartz-Museum dieser Ausstellung eine Mogelpackung verlieh. Der Untertitel Amerikanische Malerei der Jahre 1880-1905 ist nicht nur irreführend, es grenzt an Hochstapelei. Indiana ist nicht Amerika, daß weiß auch jeder Europäer. Eine amerikanische Gesamtschau dieser Zeit hätte eine ganze Menge anderer Künstler zeigen müssen, darunter die als die eigentliche amerikanische Impressionisten bekannten J. Alden Weir und John H. Twachtmann. Kaum ein Amerikaner kennt die Hoosiers, was in Köln verschwiegen wird.

Seid ihrem Tod waren sie selbst in Indiana völlig vergessen. Erst 1979 und dann in den 80er Jahren gab es ausschließlich im Staate Indiana erneut Ausstellungen. Das alles entnimmt man dem Katalog nur zwischen den Zeilen. Warum eigentlich?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen