: „Lauf ihnen nicht in die Hände, Rima“
■ Dokumentation eines Briefes der RAF-Gefangenen Brigitte Mohnhaupt, der die taz am Wochenende erreichte/ Er befaßt sich mit dem „Aussteigerprogramm“ des Verfassungsschutzes und indirekt mit dem Versuch der Bundesregierung, über Mittelsmänner Kontakte zur aktiven RAF zu knüpfen
Jetzt soll die nächste kassiert werden, um dem Staatsschutz zur Verfügung zu stehen. Das ist Friederike Krabbe, die sie nicht in der DDR abholen konnten, weil sie dort nicht war, sondern seit 13 Jahren in einem arabischen Land lebt.
Wir machen das jetzt öffentlich, weil es für sie selbst so vielleicht noch ein Schutz ist, und weil es eben auch genau in das Ganze gehört, was jetzt neu gegen uns angelaufen ist.
Ich schreibe es so auf, in der zeitlichen Reihenfolge, wie es sich für uns abgespielt hat.
Letztes Jahr im Oktober wurde ich in Aichach zum Anstaltsleiter geholt, der mir sagte, „Benz“ vom VS sei dagewesen und wollte unbedingt mit mir sprechen. Es ginge um Illegale im Ausland, zu denen der VS Kontakt hätte. Ich war ganz platt und wütend, daß es nun schon wieder losging (Benz war ja auch schon im HS (Hungerstreik, Red.) in Aichach aufgetaucht und anschließend bei meinem Anwalt mit der Botschaft: Wenn wir nicht mit ihm reden, gibt es keine Zusammenlegung) — hab' gesagt, daß ich es wirklich satt hab' und bin raus.
Kurz darauf stand Benz im Büro vom Anwalt, wie gehabt. Er hätte Kern* (ein Anwalt aus x-Stadt, der Anfang der 70er Jahre auch politische Verfahren gemacht und Gefangene von uns und vom 2.6. besucht hatte, u.a. auch mich) angerufen und gefragt, ob er zu einer ehemaligen Mandantin von ihm, die schon lange auf der Fahndungsliste sei, für den VS (Verfassungsschutz, Red.) einen Kontakt machen könne. Von dieser früheren Mandantin sei dann über einen alten Freund von ihr die Antwort zurückgekommen, sie möchte Genaueres wissen.
Außerdem habe dieser Freund gesagt, er selbst hätte unabhängig davon auch einen Kontakt zur „Kommando-Ebene“ der RAF, die im Nahen Osten sitzen würde, im Eimer sei und nicht mehr weiter wisse. Sie würden sofort aufhören, wenn von den Gefangenen ein entsprechendes Signal käme, etwa ein Satz wie: Macht ihr, was ihr wollt, es schadet uns nicht.
So einen Satz sollte ich schreiben. Kern sollte mit einer Vollmacht zu mir reinkommen und ihn mitnehmen. Und dann, so Benz, wäre auch das Problem mit uns Gefangenen vom Tisch. Keine RAF mehr — keine Gefangenen mehr nötig.
Wir haben nochmals gesagt, Benz soll zum Teufel gehen, und wenn er nochmal bei einem Anwalt aufkreuzt, sollen sie ihn rausschmeißen. Danach war auch erst mal Ruhe.
Natürlich haben wir überlegt, was der VS mit so einer irren Geschichte will. Sie konnte ja logischerweise nur auf die zehn zielen, die in der DDR waren, und der Rest, das Drumherum, mit „Kommando-Ebene“/Naher Osten war entweder das, was der VS glaubte, oder der Versuch, einen Stein ins Wasser fallen zu lassen und dann an unserer Reaktion etwas rauszukriegen.
Egal auch. Die „Fakten“ in der Benz-Story jedenfalls sehen so aus: Ein früheres Mandat konnte Kern nur von Angela Luther oder Petra Müller* gehabt haben. Von Angela wußten wir zu der Zeit, als ich noch draußen war, daß sie sich seit 72 alleine durchschlägt, und Petra war seit langem in der DDR, ihr Haftbefehl außerdem verjährt. Daß sie sich mit dem VS zusammensetzen würde und damit die Existenz von allen anderen dort gefährden würde, war schwer vorstellbar.
Schließlich der Nahe Osten, wo die RAF die ganzen 20 Jahre hingeredet wird: Die einzige, die in einem arabischen Land lebt, ist Rima. So hieß Friedrike Krabbe bei uns, und den Namen hat sie auch dort, wo sie jetzt ist, behalten. Rima hat die RAF im Herbst 1977 verlassen. Sie war zuerst bei palästinensischen Genossen und Genossinnen, die wir gut kennen, und ist dann ungefähr nach einem Jahr zu einer Familie gezogen, mit der sie befreundet war.
Also, das ist die Realität zur Benz- Geschichte.
Jetzt im Juli, nach den Verhaftungen in der DDR, geht sie weiter.
Kern erscheint im Büro von meinem Anwalt, es ginge um die alte Sache, die „Kommando-Ebene“ wär' ja noch immer im Nahen Osten, wartet auf Antwort von uns, versteht nicht, warum es so lange dauert. Der Anwalt sagt, er soll ihn endlich in Ruhe lassen damit, niemand von den Gefangenen würde sich das noch mal anhören. Kern, ganz beleidigt, will mit „Beweisen“ wiederkommen.
Zu den DDR-Verhaftungen sagt er, er hätte keine Ahnung gehabt, daß Petra dort gewesen sei, aber sicherlich habe es der „Gewährsmann“ gewußt, also der, der auch den Kontakt zum Nahen Osten haben soll.
Bevor er geht, richtet er noch von Benz aus, für uns gäbe es nichts, keine Zusammenlegung oder sonst eine Veränderung, absolut null, solange wir nicht mit dem VS reden.
Und der letzte Landeversuch im Zusammenhang mit Benz ist, daß Petra Müller jetzt bei Gila Pohl anruft (Helmuts Frau, die auch in der Angehörigengruppe ist) — sie würden sich doch von früher, aus alten Komiteezeiten, noch kennen, und Gila müßte unbedingt zu Kern kommen, wichtig, dringend usw. Gila hat ihr gesagt, was sie davon hält.
Klar ist also inzwischen, daß sie — Müller — mit der „früheren Mandantin“ gemeint war, ob das auch heißt, daß sie, wie Benz sagt, schon ein Dreivierteljahr vor den Verhaftungen einen Kontakt zum VS hatte, und so selber die Bullen in der DDR gezogen hat, wissen wir nicht.
Sicher ist aber, daß Benz jetzt bei ihr und Friedrich Leufer*, mit dem sie zusammenhängt, aus und ein geht. Leufer ist der berühmte „Gewährsmann“, der „alte Freund“. Und Leufer kennt auch Rima — noch aus der ersten Zeit 75/76, als die Gruppe sich neu organisiert und zusammengefunden hat. Er selbst wurde 76 in Kenia mit einem palästinenischen Kommando bei der Vorbereitung einer Aktion verhaftet, an Israel ausgeliefert, wo er 10 Jahre bekam, und später in die BRD abgeschoben.
Leufer hat auch weiter Kontakt zu palästinensischen Gruppen und fährt dorthin. Ich stell' mir vor, daß er dort auch Rima gesehen und ihr erzählt hat, sie könnte zurückkommen, ohne Aussagen oder einen Striptease in den Medien machen zu müssen. Dank dem VS-Aussteigerprogramm, von dem die zehn aus der DDR jetzt wissen, daß es heißt: Kronzeuge oder zehn Jahre Knast.
Offenbar hat Rima ihm gesagt, er soll zu einem Anwalt von uns gehen und fragen, ob wir das für eine Möglichkeit halten. Aber Leufer ist zum VS gegangen.
Daß es vom VS dann wieder zu uns zurückgekommen ist, kann ich mir nur so erklären: Vielleicht hat sie irgendeine Sicherung eingebaut, einen Bezug zu etwas, was wir zusammen erlebt haben und sonst niemand weiß, damit sie sich darauf verlassen kann, daß die Antwort, die sie bekommt, wirklich von uns ist. Sonst, nehm ich mal an, hätten Benz und Leufer schon längst selber eine verfaßt.
Ich bin vollkommen sicher, daß Rima nichts davon weiß, daß an Leufer der VS hängt. Wenn sie das wollte, hätte sie es einfacher gehabt — sie hätte schon vor Jahren zu einer deutschen Botschaft gehen können.
Und warum sind sie so hinter ihr her, warum wollen sie sie nach 13 Jahren unbedingt haben?
Rima soll eine Lücke in den Aussagen füllen, wo die in der DDR Verhafteten sich auch bei größter Anstrengung nichts rausquetschen können, weil sie erst viel später zur RAF kamen. Und sie soll über die Genossen unten reden, über ihre Freunde, das Land, alles.
Es ist der gleiche Grund, aus dem bei den anderen 10 Jahre Rückzug ins Privatleben und die entsprechende Entpolitisierung nicht genügt haben — weil sie jetzt den Kahlschlag wollen, „Endsieg“.
(Für Rosenkranz in der taz: Endsieg ist ein Wort der Nazis. Wie Endlösung.
Und das ist es, was in Spanien passiert, was sich hier zu den Gefangenen ausbildet. Nach 20 Jahren ist das nicht „wie 77“. Alle Äußerungen von Zachert sagen das, von der BAW, was Benz abdreht, das gestorbene Kommunikationsprojekt, unsere Realität in den Knästen.
Aber bei dir wart ich drauf, daß du uns nach dem nächsten Kaffee bei Lochte zurufst: „Feiglinge! Quatscht doch!“ Uns altmodischen Gefangenen, die noch nicht mitgekriegt haben, daß Verrat toll ist, der letzte wahre Kick für den Metropolenkretin.
Das ist das Elend hier, das im Hirn und im Herz.)1
Rima hat einen Haftbefehl wegen Schleyer. Es geht aber nur um eine Wohnung in Köln, die sie gemietet hat — also etwas, was so gut wie alle in der Gruppe x-mal gemacht haben. Logistik eben. In der 129a-Sprache fällt das unter „Teil der mitgliedschaftlichen Betätigung“, das heißt es ist verjährt.
Schleyer, die Drohung mit „lebenslänglich“, ist nur das Druckmittel — wie bei Sigrid Sternebeck, die keine Kronzeugin werden will.2 Es würde für Rima das gleiche bedeuten: Hetze, Druck und Knast.
Noch etwas wollen wir klar sagen: Rima ist bei uns weggegangen, weil Guerilla nicht ihre Sache war. Natürlich hat sie das, was sie hier nicht wollte, auch nicht woanders gemacht. Die Staatsschutzkontrolle, die jetzt wieder überall zu lesen war — „wer zu den Palästinensern geht, muß weiterkämpfen“ — ist der bescheuertste Dreck überhaupt. Niemals war das so. Etwas wie die „Übernahme“ von einer Organisation in die andere gab es nicht, gibt es nicht.
Aber sie haben uns immer geholfen, wenn jemand eine Zeit brauchte, um sich klarzuwerden, wie er oder sie weiterwill — großzügig geholfen, mit viel Verständnis und Freundschaft, aus dem Begriff, daß es das gibt, und daß wer hier kämpft, sich sicher sein muß. Rima lebt da, einfach nur das.
Aber rankommen können die Bullen nicht an sie. Sie muß freiwillig zurückgehen.
Lauf ihnen nicht in die Hände, Rima. Du hast Freunde dort, Menschen, mit denen du verbunden bist durch die Jahre zusammnen. So vieles, was dir Kraft und Freude am Leben geben kann.
Hier wartet nur der Knast, wie bei den anderen. Es wäre nach all den Jahren weit weg ein harter Kampf, die totale Konfrontation wieder. Vielleicht sieht es anders aus, wenn sie das erste Mal mit ihrem Stiefel steckengeblieben sind. Aber nicht jetzt. jetzt ist hier der Durchmarsch, und der hat erst angefangen.
Paß auf.
Ende Sept. 90Brigitte Mohnhaupt
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