Gewerkschaften der CSFR drohen mit Streik

Der Grund ist das neue Arbeitsgesetzbuch, das so gut wie keine Mitwirkungsrechte mehr für die ArbeitnehmerInnen vorsieht  ■ Aus Prag Sabine Herre

Rund 6,5 Millionen Mitglieder des tschechoslowakischen Gewerkschaftsverbandes CSKOS befinden sich in „Streikbereitschaft“. Anlaß hierfür ist die Neufassung des Arbeitsgesetzbuches, die das Prager Parlament kürzlich beschlossen hat. Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte es heftige Diskussionen gegeben. Teile des Gesetzes, daß von einer Kommission aus Arbeitgeber-, Arbeitnehmer- und Regierungsvertretern erarbeitet worden war, hatte Finanzminister Vaclav Klaus als „bolschewistisch“ bezeichnet. Gestrichen werden sollten nach seiner Ansicht alle Paragraphen, die eine Beteiligung der Gewerkschaft an der Betriebsleitung vorsehen.

Doch auch die CSKOS war zum Verzicht auf einen Teil der ihr bisher garantierten Rechte bereit: Sie seien nicht mit dem System der Marktwirtschaft zu verbinden. Beibehalten will die Gewerkschaft jedoch zwei Bestimmungen des alten Arbeitsgesetzes von 1956: Zum einen soll die Betriebsleitung verpflichtet werden, die Gewerkschaft über wichtige Entscheidungen zu informieren, zum anderen bestand man auf dem Mitspracherecht bei Entlassungen und Versetzungen. Für diese Forderungen der Gewerkschaft hatte sich auch Arbeitsminister Müller eingesetzt. Er ist der Meinung, daß es in dieser Zeit radikaler ökonomischer Reformen wichtig sei, die Unterstützung der Gewerkschaften für Entscheidungen der Betriebsleitungen zu sichern. Und auch mit der größten Pralamentsfraktion, dem Club des Bürgerforums, hatte sich die CSKOS nach längeren Verhandlungen geeinigt.

Dann jedoch kam alles ganz anders. Der Bürgerforumsabgeordnete Jan Stern erklärte, daß es angesichts des allgemeinen Chaos in den Betrieben nicht möglich sei, die ArbeiterInnen an der Leitung zu beteiligen. Das Parlament beschloß, den Gewerkschaften lediglich kleine Informationsmöglichkeit zuzugestehen, die Arbeitgeber wurden zu dieser Information nicht verpflichtet.

Die Gewerkschaft kritisierte in ersten Stellungnahmen vor allem den Bruch der Vereinbarungen. Gleichzeitig polemisierte sie aber auch gegen die Abgeordneten. Allein 120 ParlamentarierInnen hätten sich der Stimme enthalten, andere wären in ihrer Entscheidung bloß den Wortführern der Fraktionen gefolgt.

Die Gewerkschaftsspitze sieht sich sowohl dem Druck von rechts als auch von links ausgesetzt. Wiederholt haben in den vergangenen Wochen Grundorganisationen der Betriebe die geringe Radikalität des Generalrates kritisiert. Der wiederum gibt zu, daß die Gewerkschaften ihren Platz in der sich demokratisierenden Gesellschaft noch nicht gefunden haben. Zwar unterstützten ihre Mitglieder radikale ökonomische Reformen, gleichzeitig wollten sie jedoch auch die Interessen der ArbeitnehmerInnen verteidigen. Vorläufiges Ziel ist es nun, mit den Grundorganisationen die Auswirkungen des neuen Arbeitsgesetzes zu diskutieren. Die Gewerkschaftsleitung will voraussichtlich noch vor Weihnachten über weitere Maßnahmen entscheiden. Ein Generalstreik wird nicht ausgeschlossen.