■ NOCH 3301 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: Nostradamus und Voodookult
So allmählich geht dem amerikanischen Volk der Arsch auf Grundeis. Es scheint zu ahnen, daß seine Armee unten am Golf mehr als nur einen Abenteuerurlaub verbringt. Täglich erschüttern Horrormeldungen die Amerikaner. So darf zum Beispiel Brooke Shields, bekannt aus Film und Werbung, nicht die in Saudi-Arabien stationierten US-Soldaten unterhalten. Die Behörden des Wüstenstaates verwehrten dem Star das Einreisevisum mit der Begründung, sie sei eine „junge, unverheiratete Frau und Künstlerin“.
Um die Wüstensöhne besser zu verstehen, flüchten sich die Amerikaner in Religion und Aberglauben. Verlage und Buchhändler berichten über eine verstärkte Nachfrage nach der Bibel und dem Koran, aber auch den dunklen Prophezeiungen des Astrologen Nostradamus. Der alte französische Seher hatte für das Ende dieses Jahrhunderts einen 27 Jahre andauernden Krieg und danach tausend Jahre Frieden vorausgesagt. In New York sagte ein begeisterter Angestellter des Unternehmens B. Dalton, die Nachfrage nach Werken von Nostradamus, der im 16. Jahrhundert seine Prophezeiungen niederschrieb, sei fast unglaublich. Sie würden vor allem von Kunden gekauft, die sich sonst nicht für diese Art Literatur interessierten. Insgesamt meldete die Firma Dalton, die 800 Buchläden unterhält, seit der Invasion Kuwaits sei der Absatz religiöser Werke um 35 bis 40 Prozent gestiegen. Ein Angestellter des Verlages Thomas Nelson Publishers, der vor allem das Alte und Neue Testament herausgibt, sagte: „Bibeln gehen wie verrückt.“
Um ihren ganz persönlichen Rachedurst zu stillen, bemühen viele Amerikaner den Voodookult. Diejenigen, die es Saddam Hussein heimzahlen wollen, greifen zur Nadel. In den USA ist — für knapp zehn Dollar — eine 25 Zentimeter große Voodoopuppe mit dem Abbild des irakischen Präsidenten auf den Markt gekommen, an der die US-Bürger ihren Frust über die „Bestie von Bagdad“ austoben können — etwa beim Tanken, wenn die Politik sich in Form einer höheren Benzinrechnung niederschlägt.
Anhänger des auf Haiti beheimateten Voodookults glauben, daß sie ihren Feinden körperlichen Schaden zufügen können, wenn sie Puppen mit Nadeln durchstechen. Nach Ansicht der Herstellerfirma ist die Saddam-Puppe ein hervorragendes Ventil für Frustrationen und ein ideales Geschenk. So wurde denn auch das orginelle Nadelkissen zum Renner im diesjährigen Weihnachtsgeschäft. Karl Wegmann
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