: Nur mit Vignette auf der Autobahn?
Koalition will 100 Mark Benutzungsgebühr doch nur für Autobahnen/ EG muß zustimmen/ Asylverfahren soll beschleunigt, Rasterfahndung ausgeweitet werden/ § 175 wird abgeschaftt ■ Von Tina Stadlmeyer
Bonn (taz) — Eine Gebühr von 100 Mark will die Koalition nun doch nur für Autobahnen, nicht aber für Bundesstraßen verlangen. Darauf einigten sich FDP und CDU gestern bei ihrer letzten Koalitionsrunde in diesem Jahr. CDU-Generalsekretär Rühe schränkte jedoch ein: Es sei nicht sicher, ob diese Maßnahme „EG-verträglich“ sei. Im Klartext: Sie kommt nur dann, wenn die anderen EG-Länder einverstanden sind und klar ist, daß auch ausländische Kraftfahrer die Gebühr bezahlen müssen. Beim Ausbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern, zum Beispiel dem Straßenbau, einigte sich die Koalition auf ein „vereinfachtes Planungsverfahren“, das heißt, die Bürgerbeteiligung wird eingeschränkt.
Die Koalition einigte sich gestern auch auf Gesetzesvorschläge zum Asylrecht und zur Verbrechensbekämpfung. Das Asylverfahren soll beschleunigt, das Arbeitsverbot für Asylbewerber aufgehoben werden. Die FDP setzte sich damit durch, daß vor 1992 der Artikel 16 des Grundgesetzes nicht geändert wird. Wolfgang Bötsch, CSU-Landesgruppenchef, sagte gestern jedoch, er rechne damit, daß die Verfassung dann an die Gesetze in den anderen europäischen Ländern angeglichen werde. Bereits vorher werde es jedoch Regelungen geben, nach denen das „Abschieben von illegalen Ausländern“ nicht durch den Datenschutz behindert werden dürfe. Der FDP-Forderung nach einer doppelten Staatsangehörigkeit wollten CDU und CSU nicht nachgeben.
Über den Einsatz von Abhörwanzen, Richtmikrofonen und Videoaufnahmen in Wohnugen war die Koalitionsrunde gestern nicht einer Meinung. Die CSU will jede Person die mit einem Straftäter „in Verbindung“ steht, mit diesen Mitteln observiert lassen. Die FDP legte ihr Veto ein. Sie stimmte jedoch einer Ausweitung der Rasterfahndung zu, handelte der CDU dafür jedoch das Zeugnisverweigerungsrecht für Drogenberater ab. Weiterer Erfolg für die FDP: Der Paragraph 175, der sexuelle Beziehungen zwischen Männern verbietet, wenn einer von ihnen unter 18 ist, wird abgeschafft.
Die Rechtsstellung nichtehelicher Kinder soll verbessert werden. In Zukunft soll möglich sein, daß sich Vater und Mutter das Sorgerecht teilen. Über die FDP-Forderung, auch nach der Heirat sollten Mann und Frau ihren Namen behalten dürfen, konnte sich die Koalition nicht verständigen. Ebensowenig über ein Gesetz gegen die Vergewaltigung in der Ehe.
Weiterer Streitpunkt in der Koalition: die Umweltpolitik. Über ein Klagerecht für Verbände gab es Dissens. Die FDP fordert außerdem eine Klimasteuer, das heißt Kohle, Öl und Gas sollen insgesamt teuerer werden. Den Aufschlag wollen sie in den Umweltschutz und die Modernisierung von Kraftwerken stecken. CDU-Umweltminister Töpfer hat anderere Pläne: Er befürwortet eine Abgabe auf den Ausstoß von Kohlendioxid. Das heißt, wer gute Filteranlagen einbaut, zahlt weniger an den Staat. Einig sind sich Union und FDP, daß die Kraftfahrzeugsteuer nicht mehr wie bisher nach dem Hubraum sondern nach dem Schadstoffausstoß bemessen werden soll.
Offen ist nach wie vor, was aus dem Naturschutzrecht und dem Bodenschutzgesetz wird. Umweltminister Töpfer will Landwirte für umweltfreundlichen Anbau belohnen. Die wichtige Wählergruppe der Bauern will jedoch von einer Abgabe zu diesem Zweck nichts wissen. Und Finanzminister Waigel weigert sich, Landwirten aus der Staatskasse die Umstellung auf ökologischeren Anbau zu finanzieren. Auch aus dem „Staatsziel Umweltschutz“ im Grundgesetz wird so schnell nichts werden. Zwar sind sich CDU und FDP der Meinung, daß die Formulierung möglichst wischi-waschi sein soll („das Nähere regeln Gesetze“), doch verweigert die SPD hier ihre — für die Grundgesetzänderung notwendige — Zustimmung.
Umweltminister Töpfer präsentierte dafür gestern eine neues Projekt, das ihm sicher viel Publicity einbringen wird: Das ökologische Katastrophengebiet Bitterfeld will er in ein „Sonder-Öko-Zentrum“ verwandeln. Vorbildliche Umweltmaßnahmen sollen dort von aller Welt zu bestaunen sein. „Das wird ein Exportschlager“ freut er sich.
Einig waren sich CDU und FDP, daß es keinen Verfassungsrat und keine Enquete-Kommision zur Verfassungsänderung geben soll. Bundestag und Bundesrat, so planen sie, werden über mögliche Veränderungen am Grundgesetz beraten. „Dabei sind wir für Vorstellungen der Opposition offen“ gab sich Wolfgang Bötsch großzügig. Auch über Regelungen, was mit den Stasi-Akten geschehen solle, will die Koalition mit den Sozis und dem Bündnis 90 reden. Die Bestände des SED-Archivs, das beschlossen sie gestern, werden ins Bundesarchiv nach Koblenz gekarrt. Dafür müsse jedoch das Archivgesetz geändert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen