Sanfter Kasper am Pariser Platz

■ Eröffnung der »Galerie am Pariser Platz« mit Ludwig Kasper

Mit einer Ausstellung von Arbeiten Ludwig Kaspers eröffnet die Akademie der Künste Ost eine neue Galerie am Pariser Platz; Kasper steht für eine Tradition der Bildhauerkunst, der sich die Künstler und Meisterschüler der Akademie, die seit den fünfziger Jahren hier ihre Ateliers hatten, noch heute verpflichtet fühlen. Eine Rezension von

Katrin Bettina Müller

Wenn der Schlamm vor dem Eingang der Galerie am Pariser Platz getrocknet, das lecke Glasdach abgedichtet und die beim Wintereinbruch in den Sicherungskasten gefahrene Feuchtigkeit wieder beseitigt ist, dann wird man die sanften Frauen und Mädchen von Ludwig Kasper (1893-1945) wieder besuchen dürfen. In ihnen begegnet man dem humanistischen Ideal eines Bildhauers, geschult an der griechischen Frühklassik, dessen Menschenfiguren aus den dreißiger und vierziger Jahren kein heroisches Ideal verkündigen. Kasper liebte das lapidare Moment, die kleine, auf sich selbst bezogene Geste der Modelle, und nicht den großspurigen Verweis auf ein neues Menschengeschlecht.

Archaisch schlicht

Hüftbreit die Füße auseinandergesetzt mit dem Gewicht in der Mitte, die Schultern gesenkt, den Brustkorb gehoben, den Bauch leicht angespannt, erinnern mich Kaspers Skulpturen viel eher an ein meditatives Körperbild, das das Bewußtsein vom eigenen Gewicht, die Verwurzelung mit dem Boden und die Klarheit der Körperachsen betont, als an die gebogene Schönheitslinie der Klassik und den angehaltenen Schritt ihrer Figuren. Eine archaische Statuarik ist Kaspers Skulpturen eigen. In dem Ausschnitt aus seinem Werk, den die Akademie vom BBK Braunschweig übernommen hat, wiederholen sich wenige Gesten. Kasper steigert die Kompaktheit der Figuren, indem er sie mit erhobenen Armen den Kopf umrahmen läßt, manchmal als Griff nach der Badekappe der sonst unbekleideten getarnt, manchmal mehr als rituelle Geste formuliert.

Noch heute haftet den Frauenund Mädchenkörpern Kaspers, der 1943/44 erst aus Berlin, dann aus Braunschweig vor Bombenangriffen floh, der Charakter des Provisorischen und Bedrohten an. Nur ein Teil der Skulpturen ist in Bronze verewigt; manche, in Zementguß und nur als Torso ausgeführt, teils mit Eisenklammern grob zusammengehalten, berühren gerade durch ihre Unvollständigkeit.

Die Schlichtheit seines Stils unterscheidet seine Skulpturen ebenso wie die von Käthe Kollwitz und Gerhard Marcks, mit denen er zwischen 1933 und 1943 ein Atelier in Berlin teilte, von der Götterdämmerung einiger Projekte Georg Kolbes und dem plumpen Pathos der faschistoiden Skulpturen von Breker oder Thorak. Allein von ihrer in sich ruhenden Kraft nun ein Programm des Widerstandes gegen die faschistische Vereinnahmung abzulesen, wie es der selbst von expressivem Pathos durchwehte Kurztext im Faltblatt zur Ausstellung tut, scheint doch eine Vereinfachung der Positionen. Kaspers Formulierungen entzogen sich der Berührung mit der Geschichte, bewegten sich in überzeitlichen Fernen. Er vermied die Reibung an der Gegenwart, und seine Kunst, der jedes aggressive Moment fehlt, scheint in ihrer wehrlosen Weichheit auch einem naiven Traum von der Unschuld der Nichteinmischung zu folgen.

Eine kleine tapfere Galerie

Die hohe Halle mit Oberlicht, deren verwitterte Wände und abplatzender Putz zu Kaspers Plastiken stimmig die Atmosphäre eines Nachkriegsprovisoriums erzeugen, diente jahrzehntelang, bis 1987, als Atelier von Fritz Cremer. Noch befinden sich Tonreste in einer steinernen Wanne; den verglasten Eingangsbereich nutzte Cremer als beheizbaren Aufenthaltsraum. Dort wird nun eine kleine Dokumentation zu der Geschichte des Gebäudes gezeigt.

Der letzte historische Bau am Pariser Platz geht auf ein Palais des neunzehnten Jahrhunderts zurück, das 1905-07 für die Königliche Akademie der Künste umgebaut und als ein repräsentatives Ausstellungsgebäude der wilhelminischen Kulturpolitik ausgestattet wurde. Der Maler Felix Nussbaum attackierte 1931 den Konservatismus der preußischen Akademie der Künste in seinem Bild Der tolle Platz, von Paul Westheim mit folgenden Worten kommentiert: »Die Herren Professoren, durch ihre Bärte vor Zugluft geschützt, von Englein behütet, wallen auf kostbarem Teppich in das Akademiehaus. Während das Jungvolk, geschart um Paul Klee, den die Berliner Akademie ja auch noch nicht kennt, sich drängt und schiebt und stößt und mit all den frisch gemalten Bildern hübsch draußen zu bleiben hat.« Dieses Bild mit dem Begräbniszug der offiziell geschätzten Künstler vom Brandenburger Tor zu den Akademiegebäuden am Pariser Platz wurde später als düstere Vorhersage der nationalsozialistischen Anpassung der Akademie gelesen. In das Akademiegebäude selbst zog 1937 Generalbauinspektor Albert Speer ein, um von hier aus die axiale Ordnung der Stadt zu planen.

Seit den fünfziger Jahren stets nur provisorisch restauriert, richtete die Akademie der Künste Ost hier Druck- und Fotowerkstätten, Ateliers für ihre Künstler und deren Meisterschüler ein, brachte zeitweise einen Teil ihrer Archive unter und nutzte die Räume für ihre Ausstellungstechnik. Noch bezeugen im Heizungskeller, der leider nicht zugänglich ist, Graffiti von Harald Metzkes, Manfred Böttcher, Schroeder und Stötzner die Faschingsstimmung unter den Meisterschülern 1957. Deren Strichskelette, die fast schon die Chiffren Pencks vorwegnehmen, bezeugen aber auch die Abdrängung dieser Zeichensprache in die Katakomben der Kunst.

Mehrmals drohte dem Gebäude, dessen historischer Substanz man kaum Beachtung schenkte, der Abriß; zuletzt zur 750-Jahr-Feier. Im Abseits der Grenze gelegen, war ein Teil der Räume als Büro an die Grenztruppen vermietet, die dort auch eine Grenzverletzerzelle hatten. Die ungetrübte Kommunikation unter alten und jungen Künstlern, für deren Fortsetzung nun die neue Galerie werben will, ist unter diesen Umständen schwer vorstellbar.

Nun soll die kleine tapfere Galerie die Fahne hochhalten für die Kräfte der Erhaltung. Initiiert wurde sie von einer Arbeitsgruppe von ehemaligen und aktiven Meisterschülern, Mitarbeitern der Akademie und dem Leiter der Abteilung für Ausstellungen, Peter Schaul, als die weitere Bespielung der bisherigen Ausstellungsräume im Marstall fraglich wurde. Die angekündigten Meisterschülerausstellungen im Januar und Februar sollen dazu beitragen, die Akademievergangenheit nicht ungesehen abzustoßen. Die letzte, sogenannte Rechenschaftsausstellung ehemaliger Meisterschüler, die im Oktober im Marstall gezeigt wurde, stellte in Malerei, Graphik und Skulptur eine grundsolide Kunst vor, deren Weiterführung vorerst durch ihre breite Streuung und vielstimmige Ausführung in der ehemaligen DDR ohne große Anstrengung gewährleistet scheint.

Die Galerie am Pariser Platz 4 ist im Zentrum eines Areals gelegen, auf das sich begehrliche Blicke der Umgestalter richten, und sie wurde im letzten Verkehrskonzept von Bleifuß-Verkehrssenator Wagner schon der mehrspurigen Rennbahn um das Brandenburger Tor herum geopfert. Doch eine solche Verkehrsplanung beunruhigt Peter Schaul von der Arbeitsgruppe der Galerie (die langfristig auf eine historische Restauration der Fassaden und des Platzes hofft) im Moment weniger als die provisorischen Buden und Stände auf dem Platz. Schon seit einem Jahr hätte die Akademie den exponierten Standort im Herzen der Tourismusströme nutzen können, um genau hier die Geschichte des Platzes zu dokumentieren und seine zukünftige Bedeutung zu diskutieren. Die Galerie kann vielleicht ab jetzt als mögliches Forum für Information und Auseinandersetzung über Vergangenheit und heutige Funktion des Platzes im Streit ökonomischer und kultureller Interessen dienen; darüber eine neue Identität zu gewinnen und im Zentrum der Spekulationen einen historischen Kunstort zu erhalten, erscheint mir jetzt wichtiger, als sich auf die Vermittlung der Akademietraditionen zu konzentrieren.

Ludwig Kasper · Plastik und Zeichnungen. Galerie am Pariser Platz, Pariser Platz 4, geöffnet bis zum 23.12. und vom 27.12. bis zum 30.12 täglich von 10 bis 17 Uhr; mit einer ständigen Dokumentation zur Baugeschichte.