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Die WEU als Krisengewinnlerin

Die Westeuropaunion sieht sich als natürliche Organisatorin von außereuropäischen Eingriffen  ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk

Der hitzige Nichtkrieg im Golf hat ein Fossil wiederaufleben lassen, das während der Jahre des kalten Kriegs die Existenz einer tiefgefrorenen Notreserve gespielt hat: die Westeuropäische Union (WEU) — je nach diplomatischem Anlaß mal „der europäische Pfeiler der Nato“, mal „Europas einzige Veteidigungsorganisation“.

Nachdem 1983 der Versuch des bundesdeutschen Außerministers Genscher und seines damaligen italienischen Kollegen Colombo scheiterte, die gemeinsame Außenpolitik der EG auch auf den Sicherheitsbereich auszuweiten, und nachdem das KSZE-Folgetreffen in Paris im Sommer 1990 die Frage einer gemeinsamen Sicherheitsstruktur mit wohlgesetzten Worten umging, ist die WEU zur Zeit der einzige institutionelle Rahmen, in dem Manöver für ein Europa des Militärs durchgeführt werden können.

Die Golfkrise kam da wie gerufen. Endlich kann die WEU zeigen, was in ihr steckt: „Der Nato-Vertrag begrenzt das Prinzip ,Wenn einer angegriffen wird, werden alle angegriffen‘ auf Nato-Territorium. (...) Darum ist die Zuständigkeit der WEU bei out-of-area-Bedrohungen für die Allianz von großem Vorteil“, erklärte kürzlich WEU-Generalsekretär Willem van Eekelen in der Zeitschrift 'Survival‘. Ein Nato-Einsatz am Golf würde von den Staaten der Dritten Welt „vermutlich als Einmischung einer Supermacht empfunden“ werden. Deshalb solle die Nato „konkrete militärische Aktionen einem Zweipfeilerarrangement aus USA und WEU überlassen“. Wenn lebenswichtige europäische Sicherheitsinteressen betroffen wären, sei die WEU handlungsfähig, schloß van Eekelen und ließ keinen Zweifel daran, daß eine irakische Hegemonie am Golf diesen Interessen zuwiderlaufen würde.

Alle neun WEU-Mitgliedsstaaten (Benelux, Frankreich, Großbritannien, Italien, Deutschland, Portugal und Spanien) sind, auf mehr oder weniger symbolische Weise, an den Golfoperationen beteiligt. Zum ersten Mal in der Geschichte der WEU kam es am 27.August zu einem Treffen der Oberkommandierenden der Streitkräfte. Wenig später wurde auf dem WEU-Ministertreffen die Einrichtung einer militärischen Koordinationsgruppe zum Abgleichen der jeweiligen nationalen Strategien beschlossen. Der nächste logische Schritt wäre eine gemeinsame Kommandoeinheit. Der ehemalige französische Präsident Giscard d'Estaing hat einen frankobritische Generalstab in die Diskussion gebracht. Robert Pontillon, der Präsident der WEU-Parlamentarierversammlung, sieht in WEU-Struktur, Kooperationsgremium und Strategieangleichung vor Ort bereits „die Elemente einer kollektiven Verteidigung“. Und nachdem Armand de Decker, Vizevorsitzender des Politischen Ausschusses der WEU, von einer Inspektionsreise am Golf zurückgekehrt war, forderte er die Einrichtung einer gemeinsamen schnellen Eingreiftruppe nach dem Modell der französischen „Force d'Action Rapide“. Eine solche Truppe könnte, so Decker, der Embryo einer künftigen europäischen Armee sein.

In dieser Hinsicht hat die WEU ihre Schlacht schon gewonnen.

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