: Panama zweifelt an der „gerechten Sache“
Ein Jahr nach der „Operation Just Cause“ genannten US-Invasion regt sich in Panama eine kräftige Opposition/ Kritik am politischen und militärischen Vorgehen der „Beschützer“ wächst/ Die Demokratie unter US-Vormundschaft gerät unter Druck ■ Aus Panama-Stadt Ralf Leonhard
Lange Zeit war man sich in der Regierung nicht einig, wie das Jubiläum begangen werden sollte: Eine Truppenparade wäre wohl unpassend, ein großangelegter Festakt würde vermutlich zuwenig begeistertes Volk anziehen, einen Jubelmarsch für Präsident Endara hätten die Christdemokraten des Vizepräsidenten Arias Calderon boykottiert. Schließlich entschied man sich für einen Dankgottesdienst „für ein Jahr Demokratie“.
Die Regierung, die in der Nacht zum 20. Dezember 1989 in der US- Basis Fort Clayton auf eine englische Bibel vereidigt wurde, befindet sich heute in einem Popularitätstief. Das enthüllt eine Umfrage eines renommierten costaricanischen Meinungsforschungsinstituts, die jüngst in der einheimischen Presse veröffentlicht wurde. Danach hätten im November nur 11 Prozent der Wähler für Präsident Endara und 5 Prozent für den ersten Vizepräsidenten Ricardo Arias gestimmt, während 29 Prozent angeben, sich für keinen der angebotenen Politiker entscheiden zu können. Da es derzeit keine politische Alternative gibt, die die Unzufriedenen anzieht, müßte dem fettleibigen Endara diese Stimmung im Land keine schlaflosen Nächte bereiten — wenn nicht fast 70 Prozent der Befragten aussagten, nach der Invasion keine wirtschaftliche Verbesserung zu registrieren. Und über 70 Prozent sind heute der Meinung, daß die Invasion die nationale Würde verletzt hat.
Die GIs in ihren Tarnanzügen und Stahlhelmen sind zwar inzischen aus dem Stadtbild von Panama-City verschwunden, doch die zivilen „Berater“ sitzen in allen Ministerien, und im Landesinneren kann man keine 20 Kilometer fahren ohne einem Militärjeep oder gar einem Konvoi zu begegnen. Der Luftraum, für dessen Überfliegen die USA laut Kanalverträgen eigenlich jedesmal um Erlaubnis ersuchen müßten, ist ein Tummelplatz für Hubschrauber und Armeeflugzeuge der Invasoren.
Und wenn Gefahr droht, dann sind die Beschützer aus den USA auch wieder in der Stadt präsent. Zuletzt am 5. Dezember mit 500 Mann, als es darum ging, die Revolte des ehemaligen Polizeichefs Oberst Eduardo Herrera niederzuschlagen. Der Einsatz war zwar erfolgreich, weil Herrera und seine Leute nur mit ungeladenen Gewehren ausgerüstet zur Nationalversammlung marschierten und ohne Gegenwehr festgenommen werden konnten. Doch waren Augenzeugen durch die Brutalität des Einsatzes schockiert. Einer der Rebellen wurde durch einen Schuß von hinten getötet und ein weiterer — obwohl bereits gefesselt — angeschossen. Auf zwei Reporter einer regierungnahen Zeitung schlugen die GIs mit Gewehrkolben ein und entrissen ihnen die Kameras.
„Wir können unseren eigenen Sicherheitskräften nicht trauen“, erläutert ein Berater Endaras. Deswegen sei der Eingriff der Schutzmacht notwendig gewesen, obwohl angeblich 90 Prozent der eigenen Truppen den Aufständischen die kalte Schulter gezeigt hätten. Präsident Bush ließ kurz darauf wissen, daß die Truppen bis auf weiteres im Lande bleiben würden, „bis Panama seine Demokratie perfektioniert hat“.
Daß Washington immer noch mehr auf militärische Kontrolle als auf wirtschaftliche Stärkung setzt, wird auch innerhalb der Regierung unverhohlen kritisiert. Von den 420 Millionen Dollar, die Bush nach der Invasion als Wirtschaftshilfe zusagte, sind laut Regierungsquellen bisher höchstens 100 ausgeschüttet worden. Die Auszahlung des Restes ist an politische Bedingungen geknüpft wie die Unterzeichnung eines juristischen Beistandsabkommens. Die Panamenier lehnen diesen Vertrag entschieden ab, weil er die Aufweichung des Bankgeheimnisses bedeuten würde, Grundlage für das einst florierende Bankenzentrum das sich nach Jahren der Krise langsam wieder erholt. Geldgeschäfte machen nicht weniger als 25 Prozent des Bruttosozialproduktes aus.
Die Forderung nach Abzug der Besatzungstruppen wird nicht mehr nur von Intellektuellen und eingefleischten Linken erhoben. Eine erstarkende Arbeiterbewegung hat den Ruf nach Wiedererlangung der nationalen Souveränität auf ihre Fahnen geschrieben. Die Arbeiter sind enttäuscht über den ausgebliebenen Wirtschaftsaufschwung; jeder dritte Erwerbsfähige ist arbeitslos. So wurden die Organisatoren einer Demonstration am 16. Oktober, die 5.000 Teilnehmer erwartet hatten, überrascht: es kamen 50.000.
Daß die sozial explosive Situation der Regierung Kopfzerbrechen bereitet, ist offenkundig. Schon Wochen vor dem für den 5. Dezember angekündigten Generalstreik hatte sie eine breite Medienkampagne gegen die Gewerkschaftsführer entfesselt. Die Furcht vor drohenden Entlassungen zur Weihnachtszeit ließ den Ausstand zum Fehlschlag werden. Doch am Tag vorher marschierten 75.000 Menschen durch die Straßen der Hauptstadt.
Der plötzliche Aufschwung der Gewerkschaften und Volksbewegungen, die sich zu einem lockeren Bündnis zusammengeschlossen haben, läßt Optimisten sogar hoffen, daß diese Kraft in Zukunft ein politisches Vakuum füllen kann und eine Alternative für die 30 Prozent Wähler bietet, die heute keinen Kandidaten haben. „Chuchu“ Martinez zum Beispiel, ein enger Vertrauter des 1981 wahrscheinlich ermordeten nationalistischen Generals Torrijos, hat neue Lebenskraft geschöpft. Nach der Invasion war der rüstige Mittsechziger so deprimiert, daß er sofort nach Italien ziehen wollte, „um dort Wein zu trinken und Gedichte zu schreiben“. Doch jetzt bleibt er in Panama, denn er möchte um keinen Preis verpassen, was sich an neuen Bewegungen entwickelt.
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