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Eins zu null für Schweden

■ »Korrespondenzen« in der Berlinischen Galerie

»Kunst aus Schweden und aus Berlin«, so meldet der Reporter von 'dpa‘, »stehen sich in einer Ausstellung der Berlinischen Galerie gegenüber.« Die Begegnung der schwedischen Nationalauswahl und der Westberliner Stadtmannschaft fand bereits in Boras/ Schweden statt; nun stellen sich die zehn Materialkünstler in einem Rückspiel den Berliner Kunstanhängern. Ausgewählt wurden Künstler, die »auf unterschiedliche Weise betont materialbezogen arbeiten, sei es nun in der Farbe, wie bei Hansson und Henning, seien es Fundstücke und unkonventionelle Materialien, wie Zement, Holzbalken, Wachs oder Mosaik bei Fuchs, Eckert, Assig und Billgren, seien es Figuren aus der Reklame-, dem Trivial- und Comicbereich wie bei Ingvarsson, Mammel und Wolgers oder auch die Fotografie bei Widman und Eckert...«, so formuliert eine Jurorin. Diese bunte Mischung kulturpolitischer Diplomatie liegt im erwartungsgemäßen Rahmen profilierter Nachwuchsförderung der Berlinischen Galerie und kann dem über Jahre hinweg selbstgesetzten Niveau neuerer Kunst peinlich entsprechen. Ein Ereignis auf Bezirksebene. Jeweils fünf Männer treten an.

Und die Berliner Heimauswahl spielt den oft unter Beweis gestellten Regionalstil wacker und durchaus konsequent. Sie dokumentiert technische Versiertheit und Spielfreude, einfallsreich Material zu untersuchen, zu verwenden, zu verkleiden; sie bezeugt einträchtig ihren aktualisierten Umgang mit folkloristischen Versatzstücken; sie demonstriert individuelle Spielarten bekannter und dennoch immer wieder überraschend listiger Konterzüge. Dabei kommt jedem einzelnen die effektive Raumaufteilung entgegen. Aber leider — es wird doch keine Zitterpartie. Kein Freistoß, keine spektakulären Anspielungen, kein Killerinstinkt. Sie schlagen sich tapfer, ohne das Große, den Überschuß, den Triumpf zu wollen. In einem feinsinnig gezogenen Netz von »Korrespondenzen«, gemeinsam mehr zu zeigen als eine bloße Ansammlung unterschiedlicher Wandobjekte, mehr zu bieten als eine stipendiumheischende Pensumskunst. Eine konzeptuelle Präsentation differenzierter Sensibilitäten, die einander wahrnehmen und antworten und daraus eine Welt entstehen lassen, die gibt es — nur nicht in der Berlinischen Galerie. Da drippelt und febbelt sich jeder durch und spielt für sich allein, um dann glanzlos an einer vergleichsweise starken Abwehr zu scheitern.

Denn die Gäste setzen an strategischen Stellen Rhythmus und Takt und beherrschen weitgehend das Spielgeschehen, gerade weil sie kein neues Spiel mit alten Regeln absolvieren sondern ganz unsportlich wenigstens versuchen, neue Regeln zu setzen. Da gibt es erstens die Arbeit am Begriff. Vertraut mit den Idiomen internationaler Kunst, versuchen diese schwedischen Künstler aus den Trümmern der Moderne einen Kunstbegriff zu etablieren, der den Horizont der Gegenwart erreicht und nicht bloß im Aktuellen laviert. Da wird zweitens wenigstens versucht Kunst anders denn als förderungswürdig, kulturpolitisch bedeutsam, städtepartnerschaftliches Medium zu verstehen. Da wird drittens darauf verzichtet, einen Regionalstil vorzuführen, über schwedische Kunst ist hier wenig bekannt. Die gibt es in dieser Ausstellung auch nicht zu sehen. Dafür Kunst aus Schweden, über die nicht einmal ein Vorurteil existiert. Das mag auch umgekehrt gelten. Dan Wolgers gibt in einer Toninstallation zu jedem der ausgestellten Künstler ein telegrammartiges Statement ab. Zu den Berlinern fällt ihm nichts — oder nichts mehr — ein. Assig: »Ist mir nicht bekannt.« Eckert: »Ich habe keine Kenntnis.« Hennig: »Ich weiß nicht.« Fuchs: »Keine Ahnung.« Und zur Jurorin: »Sie lachte viel beim ersten Mal im Atelier. Beim zweiten Mal war sie sonnenverbrannt. Ich habe sie nicht wiedererkannt.« Stellt man alle Statements gleichzeitig an, ergibt sich eine Geräuschkulisse wie in einem Café. Es redet jeder einzelne verständlich, aber im Chor wird alles zu einem babylonischen Rauschen. Man versteht die Worte nicht mehr, hört nur noch ihren Klang. Von hier aus wäre eine Ausstellung, die sich den für die Moderne so wichtigen Begriff der »Korrespondenzen« leiht, ein sinnenreiches Ereignis gewesen. Peter Herbstreuth

»Korrespondenzen«, Berlinische Galerie im Martin Gropius Bau, Di.-So. 10-22 Uhr, 1. und 2. Weihnachtsfeiertag geschl.; ebenso Neujahr bis 13. Januar.

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