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Voodoo im Teutoburger Wald

■ Sonnenwendfeier an den Externsteinen: Nationalsozialistische Mystik als Bodensatz kultischer Treffen

Sonnenwendfeier an den Externsteinen: Nationalsozialistische Mystik als Bodensatz kultischer Treffen

VONCHRISTELBURGHOFF

Es ist zwar hellichter Tag, aber dennoch ist es leicht gespenstisch. Auf den Hängen des Teutoburger Waldes liegen dicke Dunstschwaden. Die Erde dampft, und durch den Dunst hindurch verbreiten die letzten Sonnenstrahlen des Tages ein fahles, unnatürliches Licht. Die Natur schickt sich an, für das bevorstehende Schauspiel die perfekte Kulisse herzugeben.

Ich bin auf dem Weg zur Sonnenwendfeier an den Externsteinen, zum „bedeutsamsten Kult“ am „bedeutsamsten Gestirnsheiligtum“ der Germanen, der „Wiege“ und „Weihestätte des nordischen Übermenschen“.

„Puh, wie gruselig!“ Das war die Meinung von Freunden. Sie argumentierten mit der Nazivergangenheit der Externsteine oder mit ihrer Abscheu vor den „Ewiggestrigen“ und „Unverbesserlichen“. Ich wurde aber auch gewarnt vor der „Magie“ des Ortes, der „Kraft“ des Platzes und den möglichen Gefahren für Geist und Seele. Mir ist die Sache selbst nicht ganz geheuer; vielleicht lande ich in einem faschistischen Walhalla.

Walhalla der Germanen

Walhalla? Sind die Götter alle da? Wo seid ihr, Teut, Eostra, Veleda, Wodan, Herta? Normalerweise drängen sich tagsüber Tausende von Touristen an den Felsen. Die Externsteine in der Nähe von Paderborn sind ein Touristenziel ersten Ranges wie die Loreley oder das nahegelegene Hermannsdenkmal — für deutschtümelnde Sightseeing-Touren ein absolutes Muß. Der Teutoburger Wald ist geschichtsträchtig bis in die graue Vorzeit. Angeblich schlugen hier im Jahre 9 n. Chr. Arminius (Hermann der Cherusker) und seine Germanen die Legionen des Varus in einem für die Römer vernichtenden „Guerillakrieg“. Auf dem Zentralheiligtum Externsteine soll die germanische Kultsäule „Irminsul“ gestanden haben, mit deren Zerstörung Karl der Große die Sachsenfeldzüge eingeleitet und in der Folge das germanische Heidentum ausgerottet haben soll.

Aus dem dunklen, undurchdringlichen Wald und Schauplatz martialischer Kämpfe ist nunmehr eine liebliche Parklandschaft und seit über 30 Jahren ein Naturschutzgebiet geworden. Die vier massigen Felsbrocken machen sich recht attraktiv in dieser Landschaft. Bis zu einer Million Touristen jährlich kraxeln auf ihnen herum, besichtigen die sagenhafte Höhenkapelle, die Grotte und die zahllosen Spuren der jahrhundertealten Steinmetzarbeiten. Ein angrenzender See und Waldlehrpfade laden zu sonntäglichen Spaziergängen ein; die touristische Infrastruktur ist perfekt.

Aber neben diesem offiziellen Dasein als gepflegte Touristenattraktion führen die Externsteine eine dunkle Parallelexistenz als neuheidnische Kult- und Pilgerstätte für zahlreiche Touristen anderer Art. Es steht in keinem Reiseführer geschrieben, und niemand hängt es gern an die große Glocke, daß vor allem zu den Sonnenwendfeiern in den Nächten zum 21. Juni und zum 22. Dezember die Szenerie radikal wechselt und ihre quasi verdrängte Seite offenlegt.

Sommersonnenwende 1990: Während sich die Tagesbesucher gegen Abend allmählich zerstreuen, werden auf der Höhenkapelle, dem sogenannten Gestirnsheiligtum, die ersten Schlafsäcke deponiert. Mit Einbruch der Dunkelheit wird es dann gefährlich eng auf der Plattform. In schwindelnder Höhe — wie abgehoben von Zeit und Raum — reiht sich Trommel an Trommel; neben die zahlreichen Akteure quetschen sich zusätzlich viele Neugierige. Das schmale Teufelsbrückchen, das über dem Abgrund zwischen Kapellenfelsen und Aufstiegsfelsen hängt, ist berstend voll von Menschen. Es gibt kaum noch ein Durchkommen zum Sazellum. Die ganze Nacht wird getrommelt, geflötet, gedudelt und getanzt. Der Geruch verbrannter Kräuter mischt sich mit dem stockiger Klamotten und feuchter Schlafsäcke, und hin und wieder ist das Klirren von Bier- und Weinflaschen zu hören, die in den Felsen zerschellen.

Polizei und Forstverwaltung beobachten die Szene von unten aus. Allgegenwärtig ist auch die Presse. Sie stellt Fragen über Fragen nach Motiven, Meinungen, Verhaltensweisen und dokumentiert gewissenhaft das gespenstische Treiben, denn seit der Okkultismus wieder zunimmt, ist auch das öffentliche Interesse über seine Hintergründe erwacht. Als inmitten der Finsternis die Scheinwerfer eines Fernsehteams aufleuchten, ist vielstimmiges Wutgeheul die Antwort. Die „Wilden“ lehnen es vehement ab, sich dem sezierenden Interesse der „Ethnologen“ auszuliefern. Nachdem sich die Presse zurückhält und allein Feuer und Kerzenschein die Szenerie stilgerecht ausleuchten, gewinnt die Nacht das Flair eines nächtlichen Strandfestes unter südlichem Sternenhimmel.

Faschistischer „Tag der Jugend“

Was es so schwer macht, diese Sonnenwendfeier unvoreingenommen als nächtliches Spektakel zu genießen oder als neuheidnischen Ritus einfach ad acta zu legen, ist ihr geschichtlicher Hintergrund. Die Tradition der Sonnenwendfeiern reicht weit in die Vergangenheit zurück und verliert sich schließlich im Dunkel einer unbekannnten Vorgeschichte, in der sie eine große kultische Bedeutung im naturreligiösen Brauchtum der „nordischen Völker“ gehabt haben soll.

Vermutlich wäre der Ritus längst vergangen und vergessen, hätten ihn nicht die faschistischen Ideologen der dreißiger Jahre wieder aktiviert und als „Tag der Jugend“ attraktiv gemacht. Landauf, landab loderten in jenen Jahren die nächtlichen Feuer, wurden die Jugendlichen kollektiv eingeschworen auf die neue Religiosität einer braunen Ideologie und Rassenmystik. Je „heiliger“ die Stätte im urreligiösen Sinn, um so wirkungsvoller sollte sich magisch- mystischer Nebel auf alle Beteiligten senken, denn es ging darum, den „Urahnen“ zu beschwören und die geheimsten Regungen der „Volksseele“ in sich zum Schwingen zu bringen. Die Jahrtausende nachweislicher Menschheitsgeschichte sollten dabei vergessen und nachhaltig ausgelöscht werden, vor allem all das, was römische Kultur und christlich-jüdisch-humanistische Tradition der „arischen“ Bluts- und Sippenelite an „zersetzender“ Wirkung zugefügt hätten. An deren Stelle sollte „arischer Geist“ treten, denn nach NS-Doktrin steckte darin auch der Keim des künftigen „Übermenschen“, wie SS-Reichsführer Himmler ihn mit seinem Züchtungsprogramm prototypisch hervorzubringen und elitemäßig wieder zu vermehren trachtete.

Riesen, Mutanten und Spiritisten

Die andere ungute Seite der Geschichte betrifft die Neuheiden selbst. In spirituellen Kreisen wurde und wird (sofern sie die Nazizeit überhaupt zum Thema machen) die Meinung vertreten, daß dieser faschistische Prototyp zu weitaus Höherem als schnöder weltlicher Herrschaft berufen gewesen sei, nämlich zum Gott-Mensch zu mutieren und als Herrenrasse die Menschheit in die definitive Endzeit zu führen. Den Naziführern sei bekannt gewesen, daß ein neues kosmisches Zeitalter mit einem kosmischen Größenwachstum bevorstehe. Der Mutant werde ein Produkt dieses Größenwachstums sein und seine Gottgleichheit in der Verbrüderung mit unseren Urahnen, dem Geschlecht der Riesen, erlangen, die zu entsprechender Zeit das Innere der Erde verlassen und das Urwissen der Menschheit weiterlehren werden.

Weiterhin wird kolportiert, daß Hitler, Himmler und Elitekreise der SS als Mitglieder geheimer Zirkel wie Thule- und Vril-Gesellschaft von Geistführern mit den geheimen Menschheitslehren vertraut gemacht und darüber zur Vision des Herrenmenschentums in einem wiedererstandenen Atlantis angeleitet worden seien. Mittels satanistischer Riten und Exerzitien, sexualmagischer Praktiken und dergleichen habe man die höheren Geistkräfte angezapft, wobei jedoch Satan persönlich über die Erde gekommen sei.

Der Faschismus als Betriebsunfall im Geschäftsbetrieb der Okkultisten? Wurden Hitler, Himmler und andere etwa die Opfer von Schwarzmagiern? Es fällt schwer, solche Legitimationsmuster auch nur zur Kenntnis zu nehmen, aber das Gerede vom völkisch-geistigen Aufbruch und vom Übermenschentum reißt nicht ab.

Wir basteln uns ein Heiligtum

Die Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe“ unter ihrem Chef Himmler arbeitete an der flächendeckenden Anlage heidnischer Kultstätten. Alles, was unter „arischen, indogermanischen“ Brauchtums- und Rassegesichtspunkten bedeutsam erschien, wurde „erforscht“ und ideologisch unter „Ahnenerbe“ verbucht. Der Teutoburger Wald erweckte bereits aus geschichtlichen Gründen ihr besonderes Interesse, denn hier hatten einst Germanen den Vormarsch der Römer gestoppt — ein Sieg, der zu Rückschlüssen über die Geistqualitäten im Teutoburger Wald verleitete. Auf der Wewelsburg, in der Nähe der Externsteine, errichtete sich Himmler selbst ein neuheidnisches Wahlhalla. Als geplante „Reichsführerschule“ der SS und „spiritistisches“ Zentrum des „Schwarzen Ordens“ sollte es gleichwohl als Modell für den SS- Staat Burgund ausgebaut werden. Im angegliederten Konzentrationslager Wewelsburg-Niederhagen hingegen wurde das transmoralische Menschenzüchtungsprogramm auch in anderer Hinsicht in die Tat umgesetzt, nämlich in Form der „Ausrottung unwerten Menschenlebens“. Ungefähr 2.000 Menschen wurden für die Bauarbeiten an der Burg zu Tode geschunden.

Die bei der Heiligsprechung der Externsteine geforderten Wissenschaftler jedoch kamen freiwillig und betrieben enthusiastisch ihren wissenschaftlichen Abgesang. Um den Beweis des „germanischen Gestirnsheiligtums“ zu erbringen, initiierten sie 1934 umfangreiche Ausgrabungen, die die Forscher erwartungsgemäß aufjubeln ließen und den Externsteinen die SS-Auszeichnung des bedeutendsten „Deutschen Nationalheiligtums“ einbrachten.

Das wissenschaftliche Vorgehen folgte dabei dem einfachen Trick einer Umkehrung der erprobten Verfahrensweisen. Da „Heiligkeit“ als Ergebnis vorgegeben war, wurde so lange gegraben und nach passenden Beweisen gesucht, bis die Doktrin erfüllt war. Funde, die die These nicht stützten, wurden entweder ignoriert oder umgedeutet.

Der abschließende Bericht zur Geschichte der Externsteinforschungen aus den Jahren 1980 bis 1983 kommt denn auch zu dem vernichtenden Schluß, daß effektiv nichts auf eine vorchristliche Kultstätte an den Externsteinen hindeutet. Die frühestmögliche Deutung der archäologischen Funde verweist auf das 12. Jahrhundert, als christliche Mönche darangingen, die Felsen als Einsiedlerstätte zu nutzen und für ihre Zwecke zu bearbeiten. Der Autor kommt jedoch einem Gespinst „gelehrter Mystifikationen“ auf die Spur, die nachweislich ihren Ausgang in den Phantastereien übereifriger protestantischer Prediger nahmen. Skrupellos malten die Gottesmänner einst ihren Schäfchen den Teufel „abscheulicher heidnischer Praktiken“ an die Wand, um sie um so nachhaltiger unter die eigene Glaubensknute zu zwingen. Mit der visionsträchtigen Mischung aus Schauder und Faszination übernahmen es später romantische Reisende, die sogenannte Weihestätte in einen Olymp germanischer Gottheiten umzudeuten und publik zu machen. Seither erfreuen sich die Externsteine eines regen Besucherinteresses und konnten sich als touristisches Ausflugsziel etablieren. Aber erst die Nazis brachten es fertig, die Felsen als offizielle Kultstätte einzurichten und qua Sonnenwendfeiern und selbstkreierten okkulten Spektakeln der Nachwelt als Einbruchstelle für magisch-mystisches Denken und Ausdruck ihrer Willkür zu hinterlassen.

Neue Zeiten?

Trotz der makabren Geschichte reißt die Kette der Mystifizierungen bis auf den heutigen Tag nicht ab. Die vielhundertbändige Literatur zu den Externsteinen verzeichnet stete völkisch-esoterische Neuzugänge, die auch auf den Tischen esoterischer Buchhandlungen wiederzufinden sind. Die Nazizeit wird darin ebenso ausgespart wie die Tatsache verschleiert wird, daß die „braune“ Mystik als Bodensatz weiter besteht. Man übt sich fleißig in Ignoranz; die touristische Seite übergeht ihr spirituelles Mosaiksteinchen und die spirituelle Seite ihre faschistische Vergangenheit.

Der Schauder, der mißtrauische Besucher beim nächtlichen Sonnenwendkult befallen mag, ist unheilig. Er entsteht angesichts der unaufgelösten Verquickung magisch-mystischer Denkformen mit faschistischen Inhalten. Es ist bestürzend, immer wieder neu schwarz auf weiß nachlesen zu können, wie Ideologie als „uralte Weisheit“ und die konkreten Naziverbrechen als Ausfluß „höherer Geistkräfte“ interpretiert werden; und es erschreckt die aberwitzige Überzeugung, daß die „richtigen magischen Formeln“ und „richtigen rituellen Praktiken“ den Lauf des Weltgeschehens zum „Bösen“ oder zum „Guten“ verändern könnten.

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