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■ NOCH 3297 TAGE BIS ZUM JAHR 2000Kinderarbeit zu Weihnachten

Die Zeitschrift 'Eltern‘ führte kürzlich eine interessante Umfrage unter 2.040 Kindern im Alter zwischen sieben und fünfzehn Jahren durch. Gruseliges Ergebnis der Forschung: Mit den Weihnachtsbräuchen halten es auch coole postmoderne Eltern wie Opa und Oma. Feine Klamotten sowie das Singen und Lesen des Evangeliums seien in den Familien am wichtigsten, sagten die meisten Kinder. Ein zehnjähriger Realschüler gab sogar an, er müsse sich seine Geschenke „mit Singen verdienen“. Bei vielen bleiben auch jahrein, jahraus bestimmte Abläufe traditionell in der Familie erhalten. Viele gehen am Nachmittag mit den Eltern in die Kinderkrippenfeier oder in die Kirche. Bei einer Vierzehnjährigen wird vor der Bescherung noch „die ganze Familie gebadet. Aber nach der Bescherung sind wir vor Aufregung wieder alle schweißgebadet.“ Daß der Zwang zum Gedichtaufsagen auch heute noch keinen Spaß macht, verrät ein Achtjähriger. „Ich muß immer ein Gedicht vor der Bescherung aufsagen. Das finde ich doof, weil ich es nicht aushalte, bis ich meine Geschenke aufmachen darf.“ Da hat es eine zehn Jahre alte Grundschülerin besser: „Bei uns ist alles umgedreht, und das ist gut: Zuerst kommen die Geschenke dran und erst dann der Klimbim wie Singen, Gedichtaufsagen, Weihnachtsbaumanmachen.“ Mitunter geht es auch aristokratisch zu: „Wir haben in der Diele die Bilder von unseren Vorfahren hängen. Da setzen wir uns vor, und meine Schwester liest das Weihnachtsevangelium. Gesungen wird bei uns aber nicht, weil unsere Familie unmusikalisch ist und ich im Stimmbruch bin.“ Eine andere Schülerin weiß sogar aus der Trennung der Eltern zu Weihnachten etwas Gutes zu machen: „Erste Bescherung am Heiligen Abend bei Mutter. Zweite Bescherung am ersten Weihnachtstag bei Vater. Dritte Bescherung am zweiten Weihnachtstag bei Oma. So habe ich dreimal Weihnachten, seit meine Eltern geschieden sind.“ Für eine Zwölfjährige wird dagegen der Heilige Abend jedesmal zur Qual. Für sie ist alles „so spannend, daß ich dauernd auf die Toilette muß“.

Der ganzen Kosumorgie einen fetten Strich durch die Rechnung macht dagegen ein fünfzehn Jahre alter Gymnasiast. „Bescherung ist zu materialistisch für Weihnachten. Die meisten Kinder und Jugendlichen denken nur an Spielzeug. Die Erwachsenen frönen ihrem Luxus. Wenn ich Bundeskanzler wäre, würde ich die Bescherung abschaffen.“ Meine Stimme hätte er! Karl Wegmann

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