Vor dem Unabhängigkeitsreferendum in Slowenien:
: Die Slowenen geben Jugoslawien auf

■ Während die Staaten im Westen Europas schrittweise auf Elemente ihrer Souveränität verzichten, knallen die Vielvölkerstaaten Osteuropas auseinander. Am Sonntag stimmen die Slowenen über ihre Unabhängigkeit ab. Und da bei den Wahlen in den Republiken Jugoslawiens die Nationalisten gewonnen haben, werden plötzlich Forderungen nach Veränderung der Grenzen laut.

Knapp 400 km von München entfernt findet am Sonntag eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit in der kleinsten und nördlichsten Republik Jugoslawiens statt. 95 Prozent der zwei Millionen SlowenInnen sind nach Meinungsumfragen für die Unabhängigkeit.

Die meisten Slowenen sehen sich in dem Vielvölkerstaat doppelt betrogen. Obwohl das Land nur acht Prozent der Einwohner Jugoslawiens zählt, erwirtschaftet es zwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts und ist somit auch zum Zahlmeister der Bundesinstitutionen geworden. „Der Bund kostet uns viel, zurück erhalten wir nur Beleidigungen und Drohungen“, ist eine gängige Meinung in dem Alpenland. Unvergessen sind die in den letzten Jahren mehrmals ausgeprochenen Drohungen von seiten des jugoslawischen Militärs, in Slowenien einzugreifen. Und Wut erzeugte die Nachricht, Serbien hätte eine Sondersteuer für slowenische Waren eingeführt und damit faktisch einen Wirtschaftsboykott organisiert.

Nachdem die slowenischen Kommunisten Mitte der achtziger Jahre das System lockerten, eine größere Meinungsfreiheit zuließen und sich gar eine kritische Wochenzeitung, die 'Mladina‘ („Jugend“), leisteten, die ziemlich ungeniert von der neuen Freiheit Gebrauch machte und für die kommunistische Alleinherrschaft unbequeme Fragen stellte, wurde der „slowenische Weg“ von den kommunistischen Eliten der anderen Republiken scharf kritisiert. Und seit in Serbien die nationalistischen Kommunisten unter Slobodan Milosevic 1987 die Macht übernahmen, tauchte in Slowenien auch die Angst vor einem von Serbien dominierten Jugoslawien auf.

Sogar in der demokratischen Bewegung in Slowenien, in der Menschenrechtsgruppen, Antiatom-, Frauen- und die Friedensbewegung zusammen mit der Rockkulturszene ein loses Bündnis bildeten, kamen nationale Töne auf. Wo es um Demokratisierung geht, geht es auch und vor allem um die Freiheit Sloweniens. Die kritische Szene wurde so in den gesellschaftlichen Mainstream integriert, und der ist konservativ. Es war in den letzten Monaten sogar möglich, mit den Nationalsozialisten während des letzten Krieges kollaborierende Personen öffentlich zu rehabilitieren. Dagegen werden Gedenktafeln, die an den Widerstand erinnern, in manchen Städten abmontiert. Für manche kritische Geister ist die Perspektive, zukünftig in einem von kleinbürgerlichem Geist dominierten Zwergstaat leben zu müssen, nicht gerade verlockend. So sitzen gerade einige von jenen, die unter erheblichem persönlichem Risiko vor Jahren die Demokratiebewegung begründeten, auf gepackten Koffern. Die Ziele: Paris, London, Mailand, Berlin.

Das slowenische Referendum über die Unabhängigkeit bedeutet zwar nach den Worten der slowenischen Staatsführung — Präsident ist der Reformkommunist Milan Kucan— noch „keine automatische Abspaltung“ der Republik vom Bundesstaat, immerhin soll es die Möglichkeit schaffen, nach und nach alle Souveränitätsrechte von der Bundesebene auf die Republik zu übertragen. In sechs Monaten solle dann mit den anderen jugoslawischen Republiken über eine Konföderation, über einen „Bund souveräner jugoslawischer Staaten“ verhandelt werden. Zuvor aber wird Slowenien wahrscheinlich eine eigene Währung, eine eigene Armee und natürlich eine eigene Staatsbürgerschaft einführen.

Der Bundesstaat bietet kaum noch Institutionen an, die über die Autorität verfügten, den „Separatisten“ entgegenzutreten, obwohl die Armeespitze seit Monaten immer wieder vom Eingreifen spricht. Werden denn tatsächlich von serbischen Offizieren befehligte albanische Wehrpflichtige auf slowenische Milizen schießen? Und auch die Bundesregierung unter Ministerpräsident Ante Markovic hat in den letzten Monaten an Autorität verloren. Gestern berichtete die Zeitung 'Vjensik‘ von einem heftigen Wortwechsel zwischen dem Premier und dem Staatschef Borisav Jovic über die Einführung der Marktwirtschaft, westliche Beobachter in Belgrad rechnen mit einem schnellen Rücktritt der Regierung. Das Bankensystem Jugoslawiens steht vor dem Kollaps, die Regierung beschloß, die Devisenkonten der Bürger zu sperren.

Der Premier, dem es gelungen war, das Interesse der Europäischen Gemeinschaft an einem intakten Bundesstaat Jugoslawien in fiskalische Hilfe umzusetzen, ist auch politisch gescheitert. Noch im Frühjahr setzte er Wahlen in allen Teilrepubliken durch, von der Demokratisierung dort erhoffte er sich Rückenstärkung für seine Regierung. Seine „Partei der Reformkräfte“ hat weder in Mazedonien noch in Montenegro, Bosnien oder Serbien Wahlsiege errungen. Dagegen haben überall die Nationalisten gesiegt.

In den letzten Monaten deuteten sich die Konfliktzentren der Zukunft schon an: Die serbischen Nationalisten im zu Kroatien gehörenden Knin könnten den Anschluß an Serbien fordern, Bosnien, in dem Kroaten, Serben und Muslimanen (Bosniaken) zusammenleben, könnte aufgrund der nationalistischen Konflikte auseinanderbrechen. Der Kosovo-Konflikt wird noch durch die Auseinandersetzungen zwischen mazedonischen und albanischen Nationalisten verschärft. Das Referendum in Slowenien könnte den Prozeß der ethnischen „Entmischung“ beschleunigen. Und dieser bedeutet Bürgerkrieg in vielen Regionen des Landes. Erich Rathfelder