: Polens neuer Premier — ein Erzliberaler
Walesa nominiert den ehemaligen Wissenschaftler und Lastwagenfahrer Jan Krzysztof Bielecki zum Premier PORTRÄT ■ Aus Warschau Klaus Bachmann
In der Bevölkerung dürfte er wenig bekannt sein, noch weniger als Tadeusz Mazowiecki, bevor dieser Premier wurde. In der Opposition hat der Danziger Unternehmer eher im Stillen gewirkt, bekannt ist er daher vor allem in der Hafenstadt selbst. Immerhin haben ihm zahlreiche Oppositionelle, die nach Verhängung des Kriegsrechts ihre Stellungen verloren, ihren neuen Arbeitsplatz zu verdanken. Der inzwischen 39jährige Unternehmer hatte ursprünglich nach erfolgreichem Mittelschulabschluß an der Danziger Universität Transportwirtschaft studiert, war zunächst wissenschaftlicher Assistent und dann Leiter des Fortbildungsinstituts für Führungskräfte im Bereich Handel und Industriemaschinen geworden. Zugleich schloß er sich 1980 der neu entstandenen Gewerkschaft Solidarität an.
Als 1981 das Kriegsrecht verhängt wurde und in seinem Institut die „Verifikation“ politisch Unzuverlässiger begann, hängte Bielecki seinen Posten an den Nagel. Zusammen mit einem Freund baute er aus Schrotteilen einen Lastwagen zusammen und begann Holz zu transportieren. Nach einem Unfall gründet er 1985 die Consulting-Genossenschaft „Doradca“, die bald zahlreiche Ökonomen und Verwaltungsfachleute, die durch das Kriegsrecht ihren Arbeitsplatz verloren hatten, beschäftigte. Heute hat die Genossenschaft, deren Chef Bielecki immer noch ist, 50 bis 60 Mitarbeiter und gehört zur Spitze der polnischen Consulting-Unternehmen. Sie führt beispielsweise Vermögensschätzungen zu privatisierender Betriebe durch, so etwa in der bekannten polnischen Möbelfabrik Swarzedz.
Während der Zeit nach der Verhängung des Kriegsrechts arbeitet Bielecki mit der Solidarność im Untergrund zusammen. Doradca erwirbt sich gleich doppelte Verdienste für Solidarność: Legal und offen berät die Firma unter anderem auch Betriebsräte der Gewerkschaft Solidarność, unter der Hand konspirieren viele ihrer Angestellten aktiv für die verbotene Gewerkschaft, so auch Bielecki selbst. Am Runden Tisch 1988 nimmt er nicht teil, aber er beteiligt sich an der Gründung des „Liberaldemokratischen Kongresses“, der inzwischen zu Polens bedeutendster liberaler Gruppierung geworden ist. Der Kongreß tritt unter anderem für völlige wirtschaftliche Freiheit, Unantastbarkeit des Privateigentums und eine starke Stellung des Präsidenten bei gleichzeitiger Stärkung regionaler Autonomie ein. Am 4. Juni 1989 wird Bielecki mit Unterstützung von Solidarność mit über 75 Prozent der Stimmen zum Abgeordneten des polnischen Sejm gewählt.
Politisch unterscheiden sich Bieleckis Ansichten nicht allzusehr von denen der Warschauer „Wirtschaftlichen Gesellschaft“ oder der Krakauer „Industriellen Gesellschaft“, die beide mit Alexander Paszynski und Tadeusz Syryjczyk einen Minister in der Regierung Mazowiecki hatten. Der Liberaldemokratische Kongreß tritt allerdings für eine schnellere Privatisierung durch die vermehrte Ausgabe von Gratisaktien ein. Auch Syryjczyk trat vor anderthalb Jahren mit kämpferischen, geradezu erzliberalen Ideen sein Amt an, doch erwies sich die Materie, besonders im Bereich des Hütten- und Grubenkomplexes in Schlesien, als wesentlich zäher als der Minister. Entscheidend für den Erfolg Bieleckis — sollte er länger im Amt bleiben als bis zu den Wahlen im Frühjahr — ist daher vor allem seine Durchsetzungskraft. Zwei Kabinettsmitglieder in Bieleckis Regierung stehen auch schon fest: Es bleiben der bisherige Verteidigungsminister, Marineadmiral Piotr Koledziejczyk, den Mazowiecki nach der Abberufung von General Florian Siwicki nach Warschau geholt hatte, und der bisherige Finanzminister Leszek Balcerowicz. Innenminister Kozlowski hat indessen erklärt, er sehe für sich keinen Platz in Bieleckis Kabinett.
Walesa hat inzwischen den Chef der Zentrumspartei und Chefredakteur des 'Tygodnik Solidarność‘, Jaroslaw Kaczynski zum Chef seiner Kanzlei gemacht, während der Danziger Abgeordnete Jacek Merkel, der bisher die Kanzlei organisiert hatte, Staatsminister für Sicherheit und Verteidigung wurde.
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