StudentInnen auf dem langen Marsch

■ Aus Protest gegen die geplante Neustrukturierung ihrer Universitäten begannen gestern Ostberliner StudentInnen einen Fußmarsch in Richtung Leipzig/ Widerstand auch an anderen Hochschulen

Berlin (taz/dpa/adn) — Bewegungsreicher Jahresanfang an den Universitäten und Hochschulen der ehemaligen DDR: Aus Protest gegen die geplante Neustrukturierung von fünf geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereichen an der Ostberliner Humboldt-Universität haben sich gestern rund 50 StudentInnen und einige HochschullehrerInnen zu einem Fußmarsch nach Leipzig aufgemacht.

Erste Station des 200 Kilometer langen Marsches sollte gestern abend Potsdam sein. Über Beelitz, Treuenbrietzen, Wittenberg und Bad Düben soll es weiter nach Leipzig gehen, wo der Protestzug am 7. Januar in der Karl-Marx-Universität pünktlich zu einem Aktionstag ankommen will. Auch StudentInnen der Martin- Luther-Universität Halle/Wittenberg kündigten einen Protestmarsch nach Leipzig an, wo ihre KommilitonInnen seit Tagen eine Mahnwache vor dem Hauptgebäude der Uni abhalten. Zwölf von ihnen befinden sich aus Protest gegen die geplante „Abwicklung“ ihrer Hochschule inzwischen in einem unbefristeten Hungerstreik.

„Wessis und Ossis haben die BRD nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern“, lautete der Spruch auf einem Tranparent an der Spitze des Zuges, der sich gestern in Ostberlin in Bewegung setzte. „Wir wollen ein Zeichen setzen für den Widerstand gegen die Unterbügelung alles DDR- Typischen“, erläuterte Steffen Oelsner, einer der Sprecher der Ostberliner StudentInnen, den Hintergrund der Aktion. Der Protest richte sich nur nur gegen die „Abwicklung“ an den Universitäten, sondern gegen die „brutale Einverleibung der DDR durch die BRD“.

Der Protestmarsch nach Leipzig wird ausdrücklich auch vom Rektor der Humboldt-Universität, Professor Heinrich Fink, unterstützt. Fink kündigte überdies eine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die geplante Auflösung und Neugründung zahlreicher Fachbereiche und Institute der Humboldt-Universität an. Auch der Hochschulpolitische Rat der Ostberliner Uni, dem u.a. auch Vertreter der CDU, der PDS und des Neuen Forums angehören, hat sich hinter den Protest der StudentInnen gestellt.

StudentInnen der Humboldt-Universität hatten seit dem 14. Dezember das Foyer der Uni besetzt gehalten und dabei über die Weihnachtsfeiertage viel Unterstützung von außen bekommen. Rund 5.000 DM Spenden seien eingegangen und jede Menge Kaffee, Süßigkeiten und Obst berichteten die „Aktivisten“ des Protestes. Namhafte Künstler hatten mit Konzerten, Veranstaltungen und Diskussionen ihre Sympathie für die Studentenproteste bekundet.

Der gestern begonnene Fußmarsch soll dabei nur eine von mehreren Aktionen sein. Für die nächste Woche haben die Ostberliner StudentInnen eine Urabstimmung über einen möglichen Warnstreik anberaumt.

Auch an der Leipziger Karl- Marx-Universität haben die StudentInnen ihre Proteste über Weihnachten mit einem Hungerstreik und Blockaden des Uni-Gebäudes fortgesetzt. In mehrstündigen Gesprächen mit Sachsens Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer hatten die StudentInnen am Samstag dabei keine Einigung erzielt. Während die Studierenden auf einer Rücknahme der „Abwicklungsbeschlüsse“ für einige geistes- und wirtschaftswissenschaftliche Fachbereiche beharrten, war der Wissenschaftsminister in dieser Frage zu keinen Kompromissen bereit. So will Minister Meyer die umstrittene zweimonatige Befristung der Arbeitsverträge der Professoren und Dozenten dieser Fachbereiche nicht wieder aufheben.

Einige der betroffenen Hochschullehrer, so erklärte ein Sprecher der Leipziger StudentInnen, habe die Unterschrift unter diese Zeitverträge als unzumutbar abgelehnt. Ihnen drohe damit die endgültige Entlassung. Kompromißbereit zeigte sich der sächsische Wissenschaftsminister allerdings in der geforderten Bildung einer verfaßten Studentenschaft, also einer unabhängigen Studentenvertretung, wie sie im Hochschulerneuerungsgesetz festgeschrieben ist. Weiterhin sicherte der Minister mögliche Studienverlängerungen für all die Studierenden zu, deren Fach sich jetzt inhaltlich verändert habe. Dazu soll auch eine entsprechende Verlängerung der Bafög-Zahlungen gehören.

Inzwischen wurde von der Universität in Halle bekannt, daß trotz der zahlreichen Proteste die Abwicklungsmaßnahmen ab Jahresbeginn greifen sollen. Dann sollen an die Stelle der bis dahin aufgelösten Sektionen der Hallenser Universität neue Fachbereiche treten. ve