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Ostseilschaften in schwierigem Gelände

Lobbyisten gab es auch schon im Sozialismus/ Der Übergang zur Marktwirtschaft ändert jetzt ihre Ausgangsbedingungen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Wenn der Parteichef der KPdSU, ganz gleich, ob er Chruschtschow, Breschnew oder Gorbatschow hieß, nach Polen kam, traf er sich stets außer mit den Spitzen von Partei und Staat in Warschau auch mit dem Chef des Wojewodschaftskomitees von Katowice. 49 dieser Provinzfürsten gab es in Polen, doch der Chef von Katowice war kein Gleicher unter Gleichen.

Der Posten war eine gute Ausgangsbasis auf dem Weg zur Macht: Manfred Gorywoda brachte es zum Vizepremier und ins Politbüro, Edward Gierek sogar zum Parteichef. Der Grund: Das schlesische Industrierevier war für den Aufbau der Schwerindustrie die Schlüsselregion, nicht nur die polnischen Fünfjahrespläne hingen von Schlesien ab, auch die Sowjetunion hatte dort strategische Interessen: Ein Großteil der Stahlproduktion ging in den Ostexport.

Mit Giereks Wahl 1970 zum Parteichef kam die schlesische Lobby landesweit an die Macht mit dem Resultat, daß eine Art „Schlesisierung Polens“ einsetzte. Gierek hatte in seiner Wojewodschaft Hütten, Verarbeitungsbetriebe, Industriezentren, Autobahnen und Spitäler aus dem Boden gestampft, später ging er daran, diesen kommunistischen Gründerboom aufs ganze Land auszudehnen. In den siebziger Jahren entwickelten polnische Ingenieure die ersten Pläne für das Atomkraftwerk Zarnowiec bei Danzig. Mit Westkrediten entstanden Gruben, Hütten und andere Großbetriebe. Giereks Ära ist ein typisches Beispiel für Ostlobbyismus: Der Versuch einer regionalen Interessengruppe, ihre Konzeption und ihre Interessen landesweit durchzudrücken.

Anders als in offenen Gesellschaften war Lobbyismus in den osteuropäischen Gesellschaften schwerer erkennbar, was nicht heißt, daß er seltener auftrat. Im Gegenteil: Fast jede Gruppe des politischen Establishments hatte ihr Seilschaften, deren Durchsetzungskraft vor allem von ihrer Bedeutung fürs Ganze abhing.

Spitzenreiter waren dabei häufig Militär und Geheimdienst, deren Einflußnahmen oft noch relativ leicht erkennbar waren. Wie zäh dagegen auch außerhalb dieser Gruppen gerungen wurde, zeigt das Beispiel Gabcikovo-Nagymaros. Das ungarisch-tschechische Staudammprojekt überstand immerhin mehrere Parteiführungen und innenpolitische Umbrüche, bis es schließlich am Druck der Bevölkerung scheiterte.

Ähnlich das Atomkonzept Polens, für dessen Durchsetzung eine Lobby aus Wissenschaftlern, Managern der Staatswirtschaft und Wirtschaftspolitikern kämpfte. Obwohl General Jaruzelski nach seinem Putsch 1981 die Gierek-Ära in Bausch und Bogen verdammte, übernahm er deren Atomkonzept: Der entsprechende Sejmbeschluß fiel nur wenige Tage nach der Verhängung des Kriegsrechts. Und tatsächlich erwies sich die polnische Atomlobby als vollkommen überparteilich: Ehemalige Kommunisten unterschiedlicher Schattierung gehören ebenso dazu wie an sich apolitische Wissenschaftler und Solidarność-Aktivisten.

In diesen Fällen ist die Grenze zwischen Korruption und Lobbyismus noch relativ leicht zu ziehen: Der Kampf um Großprojekte spielte sich zumeist in den oberen Etagen von Ministerrat und Zentralkomitee ab; es ging mehr um Macht und Privilegien als um Märkte. Mit der Einführung der Marktwirtschaft in einigen osteuropäischen Ländern dürfte sich das ändern. Schon jetzt hat ein harter Wettbewerb einzelner ausländischer Investoren um Marktanteile eingesetzt. Hier liegt zur Zeit der größte Spielraum für Lobbyisten.

Von den traditionellen pressure groups des Westens sind die postsozialistischen Länder noch weit entfernt. Arbeitgeberverbände ähneln eher Klubs oder Managervereinen denn jenen mächtigen Interessenverbänden, wie sie etwa in der Bundesrepublik bekannt sind. Da in Ungarn, der CSFR und Polen immer noch die meisten Betriebe in staatlicher Hand sind, müssen die gewerkschaften Tarifverträge mit dem Staat und nicht den Arbeitgeberverbänden abschießen.

Selbst die polnische „Handelskammer für ausländische Investoren“ kann allenfalls bitten und Ratschläge erteilen, Einfluß besitzt sie kaum. Um so mächtiger sind da noch die Gewerkschaften, wobei besonders in Polen eine Besonderheit festzustellen ist: Die politischen Einflußmöglichkeit von Solidarno1sć ist wegen ihrer Nähe zur Regierung wesentlich größer als die der kommunistischen Gewerkschaft OPZZ, obwohl letztere rund dreimal so viele Mitglieder hat.

Neben der Demokratisierung hat auch die Abrüstung für eine Verschiebung der Macht in der osteuropäischen Lobbylandschaft gesorgt: Ähnlich wie im Westen geht der Einfluß der Armee zurück. Das gleiche gilt für die Geheimdienste. Dagegen zeichnet sich eine Verstärkung des Einflusses ausländischer Organisationen ab. Dies hängt zwar davon ab, wie sehr sich ein Land nach außen öffnet. Doch schon jetzt ist festzustellen, daß sich auch innerhalb der neuen Regierungen und der staatlichen Verwaltungen pressure groups bilden.

Zuletzt wurde dies in der CSFR deutlich, als es darum ging, ob Renault/Volvo oder Volkswagen bei Skoda einsteigen soll. In Polen ist die Fiat-Seilschaft dabei, den Lobbywettkampf zu gewinnen. Und sowohl in Polen als auch in Ungarn geht es zur Zeit um die Aufteilung des Medienmarktes.

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