: An der Kohle hält die Lausitz fest
Das Monostrukturgebiet ist von der Braunkohle abhängig und wird es wohl auch bleiben/ Aber einschneidende Entlassungen sind ebenso sicher, von 20.000 bedrohten Arbeitsplätzen ist die Rede/ IG Bergbau und Energie erwartet Hilfe aus Bonn ■ Von Detlef Krell
„Braunkohle — Die Lausitz hat sie! Deutschland braucht sie! ESPAG veredelt sie.“ Mit diesem flotten Slogan möchten die Energiewerke Schwarze Pumpe AG (ESPAG) die Hoffnungen auf eine Zukunft des größten Arbeitgebers der Region um Hoyerswerda aufrechterhalten.
Für das Gaskombinat Schwarze Pumpe wurde in den 50er Jahren in der Lausitzer Heide das verträumte „Hoywoy“ zur „sozialistischen Wohnstadt“ ausgebaut. Heute leben hier 70.000 Menschen. Sie kamen von der Wismut, aus dem Freiburger Bergbau, aus ganz Sachsen ins unbekannte Land, und sie haben sich inzwischen mit einem BürgerInnenentscheid wieder zu den Sachsen geschlagen.
Die bis 1952 gültige Landesgrenze zieht sich mitten durch das Gebiet des Energieriesen, der drei Millionen Menschen mit Stadtgas, Industrie und Haushalte mit Briketts und Strom versorgt. 15.000 Menschen arbeiten für „Schwarze Pumpe“. „Strukturbedingte“ Entlassungen habe es bisher noch nicht gegeben, versichern der amtierende Vorstandsvorsitzende Jürgen Schneider und Betriebsrat Edelbert Neumann. Ein Sanierungskonzept soll vorliegen, unternehmensintern, wie sich von selbst verstehe. Nach außen drang nur, daß die Brikettfabriken und die Kraftwerke für wettbewerbsfähig gehalten werden. Keine Chance habe langfristig die Koksproduktion; das Stadtgas soll schrittweise durch Erdgas ersetzt werden.
„Mit der Kohle gehts zu Ende. Was soll uns ein großes energiepolitisches Konzept, wenn wir nicht wissen, was aus uns hier konkret wird“, urteilen Betriebsräte aus dem Lausitzer Kohlenrevier drastisch über die Aussichten.
Kohle? Unverzichtbar!
Hoffnung für die sächsischen und brandenburgischen Kumpel leitete Klaus Südhofer vom Vorstand der IG Bergbau und Energie vor allem aus dem politischen Zwang ab, „gefährliche Einfuhrabhängigkeiten zu vermeiden“. Die Bundesrepublik leiste sich fast 30 Prozent des Energieverbrauches der EG, die wiederum rund die Hälfte der benötigten Energie einführen müsse — Öl aus dem Golf, Kohle aus Polen und der Sowjetunion. Aber Stein- und Braunkohle sei auch im geeinten Deutschland unverzichtbar.
Die IG Bergbau erwarte deshalb, daß die Bundesregierung „endlich die Nutzung der einheimischen Stein- und Braunkohlevorräte als Energiereserve für Europa festschreibt“. Von den Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft erwarte die Gewerkschaft aber, daß sie sich nicht „nach momentanen Sonderangeboten aus den Kernkraftwerken Frankreichs und den Kohlegruben Kolumbiens richtet“, sondern eine verläßliche Grundlage für die Nutzung der eigenen Energiereserven biete. Nach Auffassung der Gewerkschaft ist in Deutschland ein Energie- Mix nötig, der Kohle, Öl, Gas und „die in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke“ einschließt.
Fehlende Akzeptanz für eine Zukunft der Braunkohle bei den Menschen im Osten leitet Klaus Südhofer aus der vergangenen Wirtschaftsordnung her. Die Menschen würden Belastungen akzeptieren, wenn sie verstünden, daß „dies energiepolitisch erforderlich ist“ und ihre Interessen mit denen der Energiepolitik „in einem langwierigen Prozeß“ ausgeglichen würden. Südhofer spricht sich dafür aus, Fernwärmeversorgung zu erhalten und auf die Kraft- Wärme-Koppelung umzustellen.
Sozusagen aus der Kohle kam der studierte Geologe Wolfgang Schmitz auf den ersten Stuhl des Hoyerswerdaer Landratsamts. „Unsere Region mit ihrer Monostruktur Kohle hat eine Chance.“ Im Landkreis leben 100.000 Menschen, von denen etwa jeder vierte bisher von der Kohle abhängig war. Die RWE, mit festem Zugriff auf das Lausitzer Revier, errechnete einen Rückgang der Fördermengen auf 120 Millionen Tonnen. „Selbst bei der bisherigen Fördermenge von 320 Millionen Tonnen Kohle im Jahr hätte die Belegschaft auf zwei Drittel reduziert werden müssen“, kalkuliert Schmitz. Gerüchte wollen wissen, daß die Kohle nun bald 20.000 Beschäftigte entläßt.
Eine neue Wirtschaftsstruktur in Ostsachsen müsse Schmitz zufolge mehr sein als die Summe von mehr oder weniger zufälligen Investitionen. In der Wirtschaftsfördergesellschaft „Oberlausitz/Niederschlesien“ haben sich die Landkreise Hoyerswerda, Weißwasser, Kamenz, Bischofswerda, Bautzen, Niesky, Löbau, Zittau und Görlitz-Land sowie dort aktive Unternehmen zusammengefunden. Jeder Landkreis bringt sein Scherflein in das Betriebskapital ein, später sollen dann neue Gesellschafter einsteigen. Einer zweiten Wirtschaftsfördergesellschaft, unter dem etwas irreführenden Namen „Lausitz“, gehören die Nachbargemeinden Hoyerswerda und Spremberg an. Von seiner Landesregierung erwartet der Landrat schnelle Entscheidungen, die Verantwortung von der Treuhand auf die Landesebene umzuwidmen. Eindeutige Aussagen aus Dresden über die Eigentumsrechte an Grund und Boden braucht der Landrat ebenso wie eine Regelung über den Umgang mit den Altlasten der Betriebe. „Man muß auch mal gegen eventuelle Besitzer aus der ehemaligen BRD über Eigentum an Grund und Boden entscheiden, wenn dadurch die Kommune vorankommt. Der Einigungsvertrag läßt das ausdrücklich zu. Die Menschen werden uns sachliche Fehler verzeihen. Aber Vertrauen ist wichtig.“
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