: Die Sauerkraut- Renaissance
Nach einer Statistik des Instituts der deutschen Wirtschaft sind wir Deutschen Weltmeister im Bonbonlutschen. Jeder Wessi lutschte im vergangenen Jahr durchschnittlich rund 6,4 Kilogramm Zuckerwaren. Da kamen auch die klassischen Bonbonnationen Irland und Großbritannien nicht mehr mit. Beim Schokoladenverzehr hapert's allerdings noch. Mit knapp sieben Kilogramm pro Kopf und Jahr blieben die Westdeutschen weit hinter den Schweizern zurück, die jährlich im Durchschnitt neun Kilo Schokolade in sich reinstopfen. Überhaupt, die Schweizer. Kein Volk der Welt frißt so viel Kaviar wie die Schweizer. Jedes Jahr verdrücken die 6,5 Millionen Bürger 20 Tonnen Kaviar. 80 Millionen Mark müssen sie dafür hinblättern; 80 Millionen Mark für glibbrige Fischeier. Einfach unfaßbar.
Bei uns scheint die Edelfreßwelle vorbei zu sein. Für 75 Prozent der Deutschen ist die Gewichtskontrolle „in“, behaupten Allensbacher Demoskopen. Ob das allerdings hilft, den gerechten Kampf gegen den Bauchspeck zu gewinnen, ist mehr als fraglich. Denn neben dem Weltmeistertitel im Naschen droht auch Gefahr aus der flüssigen Kalorienecke. Die Deutschen saufen wie nie zuvor. Beim Schampus liegt die Steigerungsrate bei gruseligen 13 Prozent jährlich, und für 62 Prozent der Deutschen ist auch das Bier nach wie vor und absolut „in“.
Ausgerechnet die Yuppies haben ein neues und auch noch gesundes Stimulans entdeckt. Bei der flüssigen Nahrungsaufnahme haben diese Ziermenschen die Nase genauso tief im Alkohol stecken wie Normal- und Garnichtverdienende. Perrier wurde längst gegen Stolitschnaja und Dom Pérignon ausgetauscht. Aber wenn es um feste Kost geht, gelingt ihnen ab und zu ein Treffer. In den Freßtempeln der Verwöhnten und Gefönten haben sie gerade eine fast vergessene Hausmannskost wiederbelebt und gleich zur eleganten Küche erklärt: das Sauerkraut!
Schlemmen ohne Reue ist angesagt. Sauerkraut eignet sich hervorragend zur figurbewußten Völlerei, besonders, wenn es als Riesling- Kraut oder im Blätterteigmantel mit Krabbenfleisch und gehackten Pistazien serviert wird. Auch der Sauerkrautcocktail mit Tiefseegarnelen und geräucherter Truthahnbrust erfreut sich immer größerer Beliebtheit in den oberen Gesellschaftsschichten. Bleibt zu hoffen, daß das Sauerkraut auch wieder den Weg nach unten findet, Krabbenfleisch, Pistazien und Truthahnbrust dürfte es dabei ruhig mitbringen. Karl Wegmann
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