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Über allen Wipfeln ist Ruh'... nicht mehr lange

■ Der erste kommunale Friedhof der Stadt in Friedrichsfelde: Ruhestätte für die Führer der deutschen Sozialdemokratie und protzige Urnenwand für das Politbüro/ Seit 1881 konnten sich hier Berliner gleich welcher Konfession beerdigen lassen

Friedrichsfelde. Goethe, der alte Gartenfreund, hätte gewiß seine Freude an jenem Ort gefunden. Vielleicht aber wäre ihm auch glatt die Spucke weggeblieben, wenn er miterlebt hätte, was ihm im Laufe der Jahrzehnte wiederfuhr. Die Rede ist vom parkähnlichen Friedhof in Friedrichsfelde. Vom Bahnhof Lichtenberg führt die Gudrunstraße direkt zum Ort des Geschehens. Denn nicht der Friedhof hat eine Geschichte, die den Ostberlinern tief ins Gedächtnis eingegraben ist. Es ist die ihm angeschlossene Gedenkstätte der Sozialisten. Hier ruhen sie, die Führer der deutschen Sozialdemokratie, der Arbeiterbewegung, die Kommunisten der Neuzeit. Hier wurde einmal im Jahr eine der größten Jubel- und Winkesessions des Honecker-Apparates abgehalten. Hier mußten Schulklassen und Arbeiter für ein Januar-Wochenende antreten. Wer nicht kam, hatte, wie nach dem Fehlen bei den Mai- und Oktoberspektakel des Politbüros, unangenehme Fragen seitens der Kollegen oder Lehrer zu erwarten.

Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts Ermordung gaben den terminlichen Anlaß für die Aufmärsche. Wie wenig Anlaß ihre Ideen noch gaben, wurde deutlich, als im Januar 1989 tatsächlich ihrer gedacht wurde. Verfolgung und Festnahmen derjenigen folgten, die sich vor allem an Rosas Satz von der Freiheit der Andersdenkenden erinnerten. Und so ruhen sie nun vor sich, die, denen einst so pompös gedacht wurde.

Einmal wurde ihre von der Wende zwangsläufig verordnete Ruhe bisher ernsthaft gestört. Als nämlich einige Rechtsradikale glaubten, ausgerechnet die Gräber der alten Sozialdemokraten als kommunistisch verseucht mit weißer Farbe überschütten zu müssen.

Die Frage nach dem Fortbestehen dieser wunderschön gelegenen Anlage stellt sich heute unter anderen Vorzeichen. Sollte man zum Beispiel gerade die rote Backstein-Urnenwand vervollkommnen, um das Kapitel DDR für die Geschichte auf diese Art und Weise vollständig aufzubewahren? Denn in eben dieser Wand ließ sich das ehemalige Politbüro der SED beisetzen. Horst Sindermann jedenfalls liegt schon im antifaschistischen Gräberfeld hinter der mit Wein bewachsenen Gedenkstätte.

Die Geschichte wäre nur halb erzählt, vergäße man die Friedhofsanlage. Der Friedhof ist eben nicht nur Gedenkstätte der Sozialisten. Er ist darüberhinaus der erste kommunale Friedhof der Stadt Berlin. Nachdem der Armenfriedhof in der Distelmeyerstraße (heute steht die Auferstehungskapelle an der Stelle) nicht mehr ausreichte und zudem nicht gerade ein herrschaftlicher Anblick war, kauften die Stadtväter ein großes Gelände der Familie von Teskow weit vor den Toren der Stadt. Seit 1881 dann konnte sich hier jeder Berliner gleich welcher Religion oder Konfession beerdigen lassen.

Wenn man heute über den Erhalt der Anlage diskutiert, sollte man das spezielle Ambiente des Friedhofs nicht vergessen: Man spaziert durch einen Park mit vielen alten Baumalleen, seltenen Tier- und Pflanzenarten. In allen Ecken entdeckt man verschollene Namen und Daten aus Berlins Stadtgeschichte: Friedrich Archenhold, Begründer der Treptower Sternwarte, die Schauspielerfamilie Wangenheim-Winterstein, der Kaufmann Simon Blad liegen hier. Letzterer vermachte der Stadt sein ganzes Vermögen mit einer einzigen Bitte, ihm ein Denkmal zu setzen.

Im hinteren Teil der Anlage steht ein Revolutionsdenkmal — geschaffen von Mies van der Rohe. Als der bekannte Architekt vor dem berüchtigten Ausschuß des US-Senators McCarthy gefragt wurde: »Sie haben doch das Berliner Kommunistendenkmal gebaut, war das nicht Ihr Bekenntnis zum Bolschewismus?« antwortete van der Rohe: »Yes, Gentleman, yes. Als ich in meinen besten Jahren war, habe ich die Sache gemacht, und ich bin verdammt stolz darauf, daß sie mir gelungen ist.« Voller Geschichte steckt dieser Platz in Lichtenberg. Voller Geschichten, die man beim Vorbeigehen entdecken kann.

Der rote Wein wuchert die Backsteinwände der Gedenkstätte der Sozialisten zu. Und über allen Wipfeln ist Ruh' — vielleicht nicht mehr lange. Andrea Linne

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