: Ausgelassene Plastikträume
■ Fotografien von Volker Hinz in der Fotogalerie am Helsingforser Platz
Mitte der achtziger Jahre, gab es in New York einen Club namens »Area«. Von vier mittzwanzigjährigen Freunden gegründet, entwickelte sich der Laden mit spektakulären (Selbst-)Inszenierungen bald zum heißesten Treffpunkt der Stadt. Der 'stern‘-Fotograf Volker Hinz war bei einigen Veranstaltungen zugegen und stellt Szenen dieser Ereignisse in der Fotogalerie aus.
Bereits mit dem »Studio 54« hatte es einen Ort gegeben, der mit spektakulärer Einrichtung und sensationsheischenden Inszenierungen den Trend wies, die Disco als Dom der Postmoderne zu etablieren. Die Abwanderung aus dem öffentlichen Raum von Stadt, Republik, Politik in die Sphäre des Privaten und die Pflege eines kapitalintensiven, verschwenderischen (Ersatz-)Hedonismus waren zwei Momente, die den Erfolg von »Studio 54« und »Area« begünstigten. »Area« allerdings betrieb nicht nur die simulierte Auflösung des Gegensatzes zwischen öffentlich und privat, sondern trieb das Flüchtige, Transitorische einer von den Strömen des Kapitals und des Warentausches geformten »Polis« auf die Spitze. Etwa alle sechs Wochen wurde umdekoriert.
Die Inneneinrichtung war immer von einer reizintensiven Atmosphäre geprägt. Kunst, Kommerz und Wirklichkeit verschmolzen gleichgültig miteinander. Kaum überraschend, daß Andy Warhol häufiger Gast war und auch seine Werke den »Area«- Betreibern zur Gestaltung seines Settings überließ. Ebenso wie Jean-Michel Basquiat, David Hockney, Keith Haring oder Julian Schnabel. »Area« aber sollte keine Galerie für moderne Künste sein, sondern ein Ereignis, relativ genau fixiert in Raum und Zeit. Zum sich ständig verändernden Inventar — ohne jede Art von Entwicklung oder Kontinuität — zählten auch Performance- Künstler und das Publikum. Andy Warhol stand für Stunden in einem Schaufenster innerhalb des Clubs. Albert Joseph Bernhard III alias Zette ließ sich für eine Weile an ein Kreuz binden und hing dann dort mit aufgeschminkten Wunden und Blut. Brian Ferry von »Roxy Music« veranlaßte die leichtbekleideten Cover- Girls der letzten LP ebenfalls für Stunden in einem Schaufenster zu posieren. Das jeweilige »Area«- Ereignis hatte immer ein Thema —Art, Gnarly, Natural History, Gardens, usw. — und während der Dauer eines solchen trugen Aktionisten wie Penn oder Survival Research Labaratories ebenso zum Gelingen des Fests bei wie auch die Modeschöpfer: Sprouse, Blass, McFadden oder Valentino.
Das Publikum wurde schließlich als Bestandteil der Inszenierungen mitgedacht. Abgesehen von der Exklusivität der Gäste — illustre Mitglieder des internationalen Jet-Set und Euro-Trash —, oblag es den Blicken der Türsteher, wer, mit oder ohne Einladung, an der Party teilnehmen durfte. So mischten sich die extravagantesten Paradiesvögel des New Yorker Nachtlebens unter die VIPs und »Area« konnte sich in spektakulären Selbstinszenierungen ereignen.
Der 'stern‘-Fotograf Volker Hinz war während einiger der Veranstaltungen zugegen. Die von ihm geschaffenen großformatigen Fotoabzüge zeigen Szenen dieser Ereignisse, sind wohl auch, inklusive ihrer eigenen Stilisierung, Dokumente von eher kulturhistorischer und ethnologischer Relevanz. Die achtziger Jahre des »Area« waren eine Zeit ungeheurer Experimentierfreude, gepaart mit intellektueller Lust an der Verführung durch Inszenierungen und dem Verlangen, die Simulationsstrategien der Apparate umzubiegen, aber auch die Zeit eines rasend-taumelnden Totentanzes auf dem verwesenden Leichnam geschichtsphilosophischen Humanismus. Diese Zeit ist erst einmal vorbei. Aus. Ende.
Einige Bilder werden empfindsame Gemüter eher abschrecken. Im September 1984 ereignete sich im »Area« ein War Evening. Die Ausstellung in der Fotogalerie zeigtein Foto davon, der Katalog zwei. Eins offenbart einen Blick in die Menge — »Monday Night«. Die Gäste zeigen sich in selbstgestalteten Tarnanzügen, Hände halten Zigaretten, halbvolle Gläser, manchmal einen Körper, gelegentlich eine Maschinenpistole. Im Vordergrund ist einer, der stößt unter Sturmkappe und Strumpf heraus sorgfältig beobachtend einem anderen die Waffe in den Rachen. Am gleichen Abend spielten andere Teilnehmer auf ihre Art Krieg. Ein blonder Jüngling, in schwarze SS- Uniform gekleidet, blickt aufrichtig und einladend in die Kamera. Er steht an einer Landkarte von Mittelamerika, ihm gegenüber ein Ronald-Reagan-Klon. Ganz generalstabsmäßig, mit kleinen bunten Truppeneinheiten und langen Stöcken, mit denen diese auf der Karte bewegt werden. Das war 1984, Orwells Jahr, der unter anderem schrieb: »Der Krieg ist der Frieden.« Um nun einen kleinen Schlenker anzuhängen: Virilio und Baudrillard sind der Ansicht, daß mit der Erfindung und Anwendung der Atombombe, Krieg und Frieden nicht mehr zu unterscheiden sind, da die apokalyptische Drohung das Soziale lähmt und vernichtet. Eine weitere Verabschiedung der aufgeklärt- fortschrittlichen Vernunft. »Monday Night« zeigt die Hilflosigkeit und Ohnmacht des souveränen Subjekts angesichts eines simulierten Friedens. Und selbstverständlich Gewalt, die in der domestizierten Massengesellschaft tabu ist. Böse. Und verdrängt.
Francis Bacon sagte: »Wenn ich einen Fleischerladen betrete, bin ich jedesmal überrascht, daß nicht ich dort anstelle des Tieres am Haken hänge.« Mitte der achtziger Jahre erleben Splatter-Filme ihren großen Boom. George A. Romeros Zombie- Trilogie führt noch einmal die Wiederkehr des Verdrängten vor. Der Klassiker des Genres ist aber The Texas Chainsaw Massacre von Tobe Hooper, und bereits im November 1984 wird der Film Grundlage einer Inszenierung im »Area«. Titel: »Faith«. Leathermask, der verkörperte Einbruch des Anderen in Hoopers Streifen, steht in einem der Schaufenster und schwingt lustvoll seine Kettensäge. Er ist umringt von Mettwürsten und blutigen Fleischklumpen. Ein hybrider Kadaver, bestehend aus Teilen einer Schaufensterpuppe, Fleisch und Knochen, hängt über ihm an einem chromglänzenden Fleischerhaken.
Ebenso wie obzöne Inszenierungen von Gewalt waren dem Gespann Fotograf/Apparat auch Ensembles der zunehmenden Künstlichkeit, Kodifizierung und Perversion von Sexualität zum Abschuß freigegeben. Da wäre zum Beispiel hinzuweisen auf »Rubber Kiss« aus dem Juli 1985. Ein ganz in schwarzem Leder verschnürter Körper wird unbewegliches Objekt des Begehrens eines Gastes, der die erregende/trennende Oberfläche des Materials küßt, streichelt, drückt. Oder »Dali's Dinner« vom Juni desselben Jahres. Auf einer festlichen Tafel findet sich eine nackte Frau zwischen Hummer, Krabben, Fischen, Kaviar und Obst gebettet. Drei Herren im Smoking umringen sie, und jeder zeigt eine völlig andere Reaktion: zynisch-ästhetischer Genuß, gepaart mit Verachtung, debile Lüsternheit und absolute Indifferenz. Eine Serviererin in Standestracht beobachtet aufmerksam. Wie wir.
Eines der beeindruckendsten Fotos zeigt die Konfrontation zweier Gäste. Der eine ist ein muskulöser Schwarzer, den nackten Oberkörper umspannen schwere Ketten, der Kopf ist von einer schwarzen Maske verhüllt. Ihm gegenüber, gut einen Kopf größer, steht — ach — Fürst von Thurn und Taxis in schwarzem Smoking, eine Flasche Bier in Händen. Sein Blick zeugt nur von einem: »So what?« Wenn Alexander Kluge noch hoffnungsvoll an eine Konfrontation zwischen den Menschen glaubt, um die Berieselung durch die Medien zu durchbrechen, dann scheint dieses Foto das Gegenteil zu belegen. Der Andere wird nur Teil jener Kolonie, aus der das Auge sich seine Welt filtert.
Um auf die vielen kleinen Anspielungen zur zeitgenössischen amerikanischen Kunst einzugehen, fehlt hier der Raum. Op-Art, Pop-Art, Concept-Art tauchen immer wieder in den Szenen auf. Über ihren Wert mag sich jede/r selbst ein Urteil bilden. »Deflated Dreams« ist der Titel eines Fotos, das wie kein anderes geeignet ist, die Ausstellung auf den Punkt zu bringen. In einem Schaufenster sind all jene Gadgets aus Kunststoff aufgebahrt, mit denen wir unserem mehr oder weniger infantilen Verlangen nachgehen. Schlauchboote, Flugzeuge, Tiere und eine Gummipuppe aus dem Sex-Shop, alles zum Aufblasen, doch die Luft ist raus. R. Stoert
Volker Hinz in der Fotogalerie; Helsingforser Platz (Ost-Berlin), noch bis zum 5.1., täglich von 9 bis 15 Uhr. Der Katalog kostet 45 DM.
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