: Waigel zeigt Berlin die lange Nase
■ Finanzsenator Meisner wehrt sich gegen die angekündigten Bonner Kürzungen bei der Berlin-Hilfe/ Bundesfinanzminster Waigel empfiehlt Reduzierungen bei Personalkosten und Nahverkehr/ Koalitionsverhandlungen zunehmend belastet
Berlin. Müssen die Berliner die Folgen von Wahlkampflügen der Bonner Koalition demnächst mit einer erheblichen Verschlechterung ihres Lebensstandards ausbaden? Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) will die Kosten der deutschen Einheit nun auch über Milliardenkürzungen bei der Berlin-Hilfe hereinholen. In einem Brief an Finanzsenator Norbert Meisner (SPD) verweigerte Waigel die angeforderten sechs Milliarden Bundeshilfe für Ost-Berlin: »Ihren Forderungen kann ich nicht entsprechen.« Zudem drohte er mit Kürzungen der für 1991 bereits gewährten 13,8 Milliarden Mark Bundeshilfe für West-Berlin um mehr als eine Milliarde Mark. Das Schreiben sei in einer Härte abgefaßt, kommentierte Walter Momper, die kaum mehr zu überbieten sei.
Waigels Haltung sei ein »Ausfluß ideologischer Politik«, die sich am Dogma orientiere, die deutsche Einheit lasse sich ohne Steuererhöhungen bezahlen, kritisierte Finanzsenator Meisner gestern auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Wenn die Bonner bei ihren Sparplänen blieben, dann sei der westdeutsche Lebensstandard in West-Berlin nicht zu halten, und die Lebensverhältnisse in Ost-Berlin könnten nicht entscheidend verbessert werden. »Sollte ein großes Loch zu verteilen sein, muß richtig umgegraben werden«, lautete sein Ausblick auf das zu erwartende Haushaltsloch.
Entgegen der gemeinsamen Interpretation der Berliner CDU und SPD beharrt Waigel nämlich darauf, daß Ost-Berlin kein Recht auf Bundeshilfe habe. Sie komme nur dann in Betracht, schreibt er, wenn der Ausgabenbedarf dort »zwangsläufig höher ist als in den neuen Bundesländern«. Und das habe der Finanzsenator nicht nachweisen können. Außerdem lägen die Steuereinnahmen im Ostteil der Stadt vermutlich höher als in der restlichen Ex-DDR.
Auch die gegenüber anderen Bundesländern bevorzugte Finanzierung Berlins sei nicht mehr gerechtfertigt, so der CSU-Minister. Sein deftiger Sparvorschlag: Reduzierung des Personals im Öffentlichen Dienst, der hohen Zuschüsse beim Nahverkehr und der Förderung von Sozialmieten. Außerdem rät er zur höheren Verschuldung: Kredite könnten ja aufgenommen werden.
Meisner will seinen Bonner Amtskollegen nun in einem Antwortschreiben darauf hinweisen, daß sich Berlin nicht mit normalen Ländern vergleichen lasse: Der Finanzbedarf sei bei Stadtstaaten pro Jahr und Einwohner knapp doppelt so hoch. Und die Aufnahme von Krediten sei gegenwärtig sehr unklug, weil Berlin in den nächsten Monaten und Jahren Schulden in Milliardenhöhe — beispielsweise aus dem Wohnungsbau — zu zahlen habe. In Ost-Berlin stünden in diesem Jahr Einnamen von 4,6 Milliarden Mark — aus Steuern, Gebühren und dem Fonds Deutsche Einheit — Ausgaben von 10,6 Milliarden Mark gegenüber, darunter drei Milliarden für Personal und zwei Milliarden für Investitionen.
Waigels Geiz belastet zunehmend auch die Koalitionsverhandlungen. Die SPD verlangt jetzt ein rasches, klärendes Gespräch mit der Bonner Regierung über die Frage der Bundeshilfe. Und Momper bot an, seinen Amtsnachfolger Diepgen dabei nach Bonn zu begleiten. Dennoch kann mit der Senatsbildung nicht mehr vor Ende Januar gerechnet werden. usche
(siehe auch Kommentar auf Seite 10)
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