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Moslembrüder Minister in Jordanien

Bei den ersten freien Wahlen seit 35 Jahren bildeten Moslembrüder stärkste Fraktion/ Kalkül des jordanischen Königs: Die guten Beziehungen der „Brüder“ zu Saudi-Arabien nutzen  ■ Aus Amman Khalil Abied

Als der jordanische Premierminister Moudar Badran am Neujahrstag nach einer Regierungsumbildung seine neue Kabinettsriege vorstellte, wurde ein neues Kapitel arabischer Parlamentsgeschichte aufgeschlagen. Von den zehn neuen Ministern — von insgesamt 25 — gehören fünf der Moslembrüderschaft „Al-Ikhwan“ und zwei den mit ihr verbündeten Islamischen Unabhängigen an. 1989, bei den ersten freien Parlamentswahlen in Jordanien seit 35 Jahren, hatten die Moslembrüder 22 und die Islamischen Unabhängigenacht von insgesamt 80 Parlamentssitzen erhalten. Damit stellen sie die stärksten Fraktionen.

Die Ikhwan profitierten davon, daß sie während des über dreißig Jahre dauernden Ausnahmezustandes als einzige Partei offen politisch arbeiten und so ihren Einfluß erheblich ausbauen konnten. Für die Staatsmacht waren sie ein willkommenes Instrument gegen die damals im Untergrund agierenden arabischen Nationalisten und die jordanische Linke.

Liegt die Führung der Moslembrüder in der Hand von Geschäftsleuten und hohen Staatsbeamten, so entstammen die meisten Mitglieder konservativen Mittelschichten. In den letzten Jahren haben sie erheblichen Einfluß unter Jugendlichen und Studenten gewinnen können. Sie stellen heute in allen Universitäten und Fachhochschulen die Studentenräte.

Damit steht in Jordanien jedoch noch keine islamische Revolution à la Khomeini vor der Tür. „Die ,Brüder‘ sind keine fundamentalistische Partei“, meint der Politologe Hamada-Alfarana, „sie sind eine pragmatische politische Partei, deren Vorstellungen auf ihren Interessen und nicht auf religiösem Dogma beruhen. Sie sind in etwa zu vergleichen mit den konservativen christdemokratischen Parteien Europas.“

Im November 1990 konnten die Ikhwan mit Unterstützung auch der christlichen Abgeordneten ihren Kandidaten für den Parlamentsvorsitz durchbringen. Im Gegenzug wurde ein Christ Stellvertreter des Parlamentspräsidenten. Während der Wahlen von 1989 hatten sie einen christlichen Kandidaten in der überwiegend von Christen bewohnten Stadt Maadba aufgestellt. „Wenn es um Interessen geht, spielt die Religion keine Rolle“, kommentierte ein jordanischer Historiker diesen scheinbaren Widerspruch.

In drei Wochen dauernden zähen Verhandlungen mit Premier Badran forderten die „Brüder“ vor allem Ministerien, durch die sie sich einen wachsenden ideologischen Einfluß versprechen konnten. Dazu zählen das Informations-, das Erziehungs- und das Justizressort. Letzteres bietet die Möglichkeit, Gesetze im Sinne islamischen Rechts zu verändern.

Auch bei der Besetzung der anderen Ministerien wollten sie mitreden, was Badran jedoch aufs schärfste zurückwies. Schließlich erhielten sie das Justizressort sowie das Ministerium für Gesellschaftliche Entwicklung, desweiteren das Erziehungsministerium (nachdem es vom Hochschulbereich getrennt worden war).

Der Wandel in der Innen- und Außenpolitik des jordanischen Königshauses wirkte sich unmittelbar auf das Verhältnis zwischen den Ikhwan und dem Regime aus. Galt Jordanien traditionell als enger Verbündeter der USA und der Golfmonarchien, so verschlechterten sich die Beziehungen abrupt, nachdem der König 1988 ankündigte, die Westbank nicht länger politisch vertreten zu wollen. Das stärkte die Rolle der Palästinensischen Befreiungsorganisation als einziger Vertretung der Palästinenser und machte alle amerikanischen Pläne zunichte, das jordanische Regime als Alternative zur PLO aufzubauen. Darauf reagierten die USA, indem sie die Golfländer aufforderten, ihre umfangreiche Wirtschaftshilfe an Jordanien einzustellen. Dies traf die jordanische Wirtschaft empfindlich. Die soziale Situation drohte in den Brotaufständen im April 1988 zu explodieren.

Wegen der jordanischen Haltung in der Golfkrise — Jordanien unterstützt den Irak und lehnt die amerikanische Truppenpräsenz in der Region ab — sanken die Beziehungen Jordaniens zu den Vereinigten Staaten und den Golfländern auf den Nullpunkt. Die Partei der „Brüder“ hingegen erfreut sich besonderer Beziehungen zu Saudi-Arabien und wird von den Saudis finanziell unterstützt. So mußte König Hussein befürchten, daß das saudische Königshaus über die „Brüder“ sein Königreich von innen destabilisieren könnte. Er soll in engem Kreis gesagt haben, daß „die ,Brüder‘ Verbündete der Saudis und der USA in Afghanistan waren“ — ein Wink mit dem Zaunpfahl, daß sich das Gleiche jetzt auch in Jordanien wiederholen könnte.

Durch die Regierungsbeteiligung sollen die Ikhwan neutralisiert und direkt zur Verantwortung gegenüber ihrer Wählerbasis herangezogen werden. Die „Brüder“ ihrerseits zeigen sich sehr sensibel gegenüber der Stimmung in der Bevölkerung und sind bereit, ihr Fähnchen nach dem Wind zu hängen, um ihre Massenbasis nicht zu verlieren. Und die Stimmung in Jordanien richtet sich eindeutig gegen die USA und die Golfmonarchien. Deswegen haben die Ikhwan zu Beginn der Golfkrise — trotz ihrer historischen Aversion gegen den Irak und der engen Beziehung zu Saudi-Arabien — Bagdad unterstützt.

Als Gegengewicht zu den „Brüdern“ erhielt der panarabisch-liberale „National Block“ zwei Ministerien. Der „National Block“ stellt die mit 12 Abgeordneten zweitgrößte parlamentarische Fraktion. Das Außenministerium übernahm Taher Al- Masri, der enge Beziehungen zur jordanischen Linken und den anderen nationalen Kräften sowie zur PLO unterhält.

Wegen seines guten Drahtes zu den arabischen Ländern, die eine arabische und politische Lösung der Golfkrise unterstützen, wird Al- Masri als Garant für die Kontinuität der jordanischen Politik in der Golfkrise angesehen.

Die Frage, ob die nächsten Wochen eine friedliche oder militärische Lösung der Krise bringen werden, wird entscheidende Auswirkungen auf die Rolle und die Zukunft Jordanien haben. Aus diesem Grund wollte der König durch die Regierungsumbildung sein Haus in Ordnung bringen, so daß er allen Eventualitäten der nächsten Wochen entgegentreten kann.

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